Tragödie mit Ansage
Von Thomas Berger
In Karatschi ist am Sonntag, zwei Tage nach dem Einsturz eines fünfstöckigen Wohngebäudes, die Suche nach Überlebenden eingestellt worden. Zuvor waren noch die Körper von elf Menschen lebend aus den Trümmern geborgen worden – zehn werden weiter in Kliniken behandelt, eine der verletzten Personen starb kurz darauf. Die Gesamtzahl der Todesopfer ist inzwischen auf 27 gestiegen, wie internationale und lokale Medien übereinstimmend berichten. Völlig neu sind solche Vorfälle in der größten pakistanischen Metropole nicht.
Das Unglücksgebäude im ärmlichen Stadtviertel Lyari soll aus dem Jahr 1975 stammen und sich schon länger in einem sehr schlechten Zustand befunden haben. Laut Medienberichten war es von 40 Menschen bewohnt. Eine erste Evakuierungsanordnung durch die regionale Bauordnungsbehörde der Provinz Sindh (Sindh Building Control Authority, SBCA) gab es angeblich schon vor rund drei Jahren. Am 25. Juni, also nur wenige Tage vor dem Einsturz, soll eine zweite solche Anordnung ergangen sein. Warum sie nicht befolgt wurde, wird nun untersucht. Kritik richtet sich aber auch an die Behörde selbst, die es oft genug bei Schriftstücken belasse, statt beim Durchsetzen der eigenen Anordnungen hinterher zu sein.
Dass es eklatante Sicherheitsmängel an vielen Gebäuden gibt, ist hinlänglich bekannt. Ende vergangenen Jahres war bekannt geworden, dass die SBCA stadtweit in der 20-Millionen-Metropole insgesamt 578 Wohnbauten als gefährdet einstuft. Angesichts mehrerer tausend Menschen, die in den Gebäuden wohnen, könne es jederzeit zu einer Tragödie kommen, hatte der Generaldirektor des Rechnungshofes einen Ausschuss des Regionalparlaments bei einer Anhörung am 19. Dezember gewarnt. Effektiv getan hat sich seither nichts, um die Häuser zu renovieren oder immerhin zu leeren oder abzureißen. Eine Katastrophe mit Ansage also. Sogar die parlamentarische Aufforderung an die Provinzregierung, endlich auf die Umsetzung der Evakuierungsanordnung zu bestehen, blieb folgenlos.
Allein in der Altstadt von Karatschi soll es laut einem Beitrag von Geo News 107 solcher amtlich eingestuften Risikobauten geben. Auch dort leben vorrangig Menschen mit geringem Einkommen. Während an anderen Stellen komplett neue Quartiere mit noblen Bauten in die Höhe schießen, lohnt es sich für Eigentümer oft nicht, in marode Bestandsgebäude zu investieren. Neben reinen Alterserscheinungen und vernachlässigter Wartung kommen andere Aspekte hinzu, die Tragödien wie den aktuellen Vorfall begünstigen. Nicht selten setzen Firmen minderwertige Materialien ein, um Kosten zu sparen. Pfusch in der Bauausführung oder mangelnde Statikprüfungen sind ebenfalls keine Seltenheit.
Vergangenes Jahr hatte die SBCA ihre jüngste Kampagne gegen illegale Bauten durchgeführt. 150 Gebäude, die ohne behördliche Genehmigung errichtet worden waren, sind in Karatschi abgerissen worden, hieß es Mitte Mai 2024 in der Tageszeitung Dawn. Im Monat zuvor war ein Minister der Regionalregierung im Hauptquartier der trägen Behörde vorstellig geworden und hatte der Leitungsebene offenbar die Leviten gelesen, so dass diese sich wenigstens temporär zu verstärktem Durchgreifen genötigt sah.
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