Der Preis des Krieges
Von Reinhard Lauterbach
Beim St. Petersburger Wirtschaftsforum Ende Juni gab es eine hochrangig besetzte Podiumsdiskussion über die wirtschaftliche Lage Russlands im vierten Jahr des Krieges. Zu den Rednern gehörten Finanzminister Anton Siluanow, Nationalbankchefin Elwira Nabiullina und Putins Wirtschaftsberater Maxim Oreschkin. Nabiullina war sozusagen die »Böse« in der Runde: Vor allem aus der russischen Kapitalistenklasse wird ihr die Hochzinspolitik vorgehalten, die sie seit Kriegsbeginn verfolgt. Mit dem Ziel, die Inflation möglichst rasch wieder auf die Zielgröße von vier Prozent jährlich herunterzubringen, hat sie Nominalzinsen von 20 Prozent durchgesetzt, abzüglich der Inflationsrate ist das immer noch ein Realzins von zehn Prozent.
Die Folge ist, dass insbesondere der zivile Teil der russischen Wirtschaft lahmt. Die globalen Zahlen haben für das erste Quartal nur noch ein nominales Wachstum von 1,4 Prozent gezeigt, was noch durch die stabile staatliche Nachfrage nach Rüstungsgütern geschönt wird. Für das gesamte Jahr 2025 wird jetzt, nach Werten über vier Prozent in den zurückliegenden Jahren, nur noch ein Wachstum von 2,5 Prozent erwartet, und für die kommenden Jahre sind die Prognosen nur wenig besser.
Immerhin: Das Ziel der Inflationsbekämpfung hat Zentralbankchefin Nabiullina zumindest tendentiell erreicht. Die Geldentwertung ist von 20 auf jetzt knapp unter zehn Prozent gesunken. Nabiullina verkaufte das in St. Petersburg als eine Politik des »Schutzes der Ersparnisse und des Lebensstandards der Bevölkerung«. Wie man es nimmt.
Denn die Sonderkonjunktur, die die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft für die russischen Lohnabhängigen gebracht hat, ist vorbei. Die Löhne und Gehälter steigen allenfalls noch mit der Inflation, bleiben also unter dem Strich gleich. Reale Einkommenszuwächse kommen kaum noch vor, und etwa die Hälfte der russischen Unternehmen gibt bei Umfragen an, in den nächsten zwölf Monaten eher zu entlassen als einzustellen. Sofern natürlich überhaupt noch jemand einzustellen ist. Denn der Krieg hat auf den russischen Arbeitsmarkt wie ein riesiger Staubsauger gewirkt: Die Erwerbslosigkeit bleibt auf dem niedrigsten Niveau seit dem Ende der Sowjetunion. Und die Praxis der russischen Regierung, Soldaten eher auf freiwilliger Basis und für hohe finanzielle Prämien anzuwerben, als zum Mittel der Zwangsmobilisierung zu greifen, hält Arbeitskräfte knapp und wirkt so gesamtwirtschaftlich lohnstützend. Abgesehen von denen, die aus dem Krieg nicht mehr zurückkehren und natürlich ersetzt werden müssten. Oder den Kriegsversehrten, deren Unterhalt auf die eine oder andere Weise dem Staatshaushalt zur Last fallen wird.
Immerhin: Die drei Jahre mit realen Einkommenszuwächsen haben dazu geführt, dass die Nettosumme der Privatkredite in Russland zurückgegangen ist. Jetzt beschwert sich die Finanzbranche über rückläufige Ausleihungen an Verbraucher. 2024 haben Privatkunden mehr an die Banken zurückgezahlt, als sie an neuen Krediten aufgenommen haben. Das ist gut für die Kunden, aber schlecht für die Banken. Und es wirkt sich negativ auf die Branchen aus, die langlebige Konsumgüter anbieten. In erster Linie die Bauwirtschaft. Dieser Sektor ist dann auch einer von denen, aus denen bereits wieder Rückstände bei den Lohnzahlungen berichtet werden. Diese Rückstände seien, hieß es Anfang dieses Monats in einem Bericht der russischen Gewerkschaften, die höchsten seit fünf Jahren.
Wie geht es weiter? Wenn alles gut geht, mit gedämpften Wachstumszahlen und einer »weichen Landung«. Dazu müsste allerdings der Krieg in absehbarer Zeit beendet werden. Die staatlichen Reservefonds sind inzwischen auf etwa ein Drittel ihres Standes zu Kriegsbeginn abgeschmolzen. Man kann daraus zwar einerseits ableiten, dass sich Russland den Krieg noch etwa zwei Jahre lang »leisten« könnte. Aber dann wären die Fonds auch leer, und wie schnell sie, die in den letzten 20 Jahren im Rahmen eines ungehinderten Öl- und Gasexports angehäuft worden sind, dann wieder aufgefüllt werden könnten, steht in den Sternen. Selbst im besten Fall wird das Geld dann für all die Modernisierungsprojekte fehlen, die politisch immer wieder eingefordert werden, aber ohne staatliche Finanzierung nicht in Gang kommen. Ein russischer Industriekapitän sagte am Rande des Petersburger Forums, niemand in der Branche habe mehr Bargeld, alles gehe in den Schuldendienst. An Investitionen des privaten Kapitals sei in dieser Situation nicht zu denken. Womöglich wird sich Elwira Nabiullina dann doch wieder daran erinnern, dass aus staatlicher Sicht eine Inflation nicht das Schlimmste ist. Denn sie wirkt wie eine allgemeine Vermögenssteuer, und der erste, der von der Entwertung der Schulden profitiert, ist der Staat selbst.
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Leserbrief von Reinhard Kalinke aus Bämsen (8. Juli 2025 um 13:00 Uhr)Russland gibt für Rüstung und Krieg etwa 6 bis 7 Prozent der Wirtschaftsleistung aus – kann man das wirklich als »Kriegswirtschaft« bezeichnen? Die USA haben im Korea- wie auch im Vietnamkrieg deutlich mehr ausgegeben, von den Weltkriegen ganz zu schweigen. Und der »Wirtschaftsboom« – war und ist der nicht vielmehr eine Folge der Sanktionen, die genau die Funktion übernommen haben, die Trump mit seinen »Tarrifs« für die USA erreichen wollte, nämlich die Wirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz abzuschirmen und so zur Entwicklung inländischer Produktlinien beizutragen, um die Lücken in den Regalen aufzufüllen?
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