Erdgasförderung ohne Rücksicht
Von Wolfgang Pomrehn
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat einen Eilantrag gegen den Bau einer Kabeltrasse durch das als Weltkulturerbe bei der UNESCO registrierte Wattenmeer vor der Insel Borkum gestellt. Dort, rund 20 Kilometer vor der Küste an der Seegrenze zu den Niederlanden, zapft das niederländische Unternehmen ONE-Dyas eine grenzüberschreitende Erdgaslagerstätte an und möchte seine Bohrplattform aus einem nahegelegenen Offshorewindpark mit Strom versorgen. Nach Angaben der DUH würde der Bau der geplanten Kabeltrasse eines der letzten Steinriffe der Nordsee und geschützte Biotope zerstören. Das Unternehmen fördert bereits im Testbetrieb allerdings bisher nur auf der niederländischen Seite der Grenze. In Deutschland stehen die Genehmigungen noch aus.
Außerdem ist eine Klage der DUH gegen die Gasförderung anhängig. Die für die Genehmigung der Kabeltrasse zuständigen Landesbehörden in Niedersachsen hatten laut DUH bisher signalisiert, dass ihre Klage auch für die Kabeltrasse aufschiebende Wirkung habe. Nun hat allerdings die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts in Oldenburg einem Antrag von ONE-Dyas, die Kabeltrasse anzulegen, stattgegeben. Das Unternehmen könnte so vollendete Tatsachen schaffen, noch bevor über die Genehmigung der Gasförderung auf der deutschen Seite entschieden ist. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner dazu: »Hier sollen alle Hürden für die Gasförderung in der Nordsee so schnell wie möglich abgeräumt werden. Dabei hat das Gericht die naturschutzfachlichen Fragen bisher gar nicht geprüft. Der Sofortvollzug wird allein auf Grundlage verfahrensrechtlicher Argumente angeordnet.«
Das Bundeskabinett hatte Mitte der Woche einem Vertrag mit den Niederlanden zugestimmt, der die Förderung auch auf deutscher Seite ermöglichen wird. Der muss allerdings noch von Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden. Erst dann kommen die niedersächsischen Genehmigungsbehörden zum Zug. Nach Angaben von ONE-Dyas wird schon in der Testphase eine Menge gefördert, die etwa drei Prozent des derzeitigen deutschen Verbrauchs entspricht. Das Gas wird über eine kurze Pipeline in das niederländische Netz eingespeist, aber zum Teil auch nach Deutschland verkauft. Bis zu 13 Milliarden Kubikmeter Erdgas könnten nach Berechnungen der DUH aus dreieinhalb bis vier Kilometern Tiefe gefördert werden und bei deren Verbrennung werden etwa 65 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. »Das gesamte Gasprojekt steht im diametralen Widerspruch zu Klimaschutz und Energiewende« so Müller-Kraenner weiter. Die DUH werde ihren »rechtlichen Widerstand mit aller Kraft fortsetzen.«
Derweil nimmt der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Stromerzeugung weiter zu. Im Mai und Juni haben Sonne, Wind und Co. mit 66,5 und 73,7 Prozent jeweils neue Rekorde an der Nettostromerzeugung erreicht. Das geht aus den Zahlen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme hervor. Allerdings hatte im Februar der Anteil nur 42,5 Prozent betragen, weil der Monat ungewöhnlich windarm war. So gering war der Beitrag der Erneuerbaren seit über einem Jahr nicht mehr ausgefallen. Diese Schwankungen in der Versorgung werden von Gegnern der Erneuerbaren gerne als Argument für neue Gaskraftwerke angeführt, wie sie die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU, bis vor kurzem noch bei RWE) mit Nachdruck vorbereitet. Allerdings lassen sich solche Lücken auch mit Speichern überbrücken. Eine der diversen Möglichkeiten sind Druckluftspeicher in Salzkavernen, wie bereits einer im niedersächsischen Huntorf betrieben wird. Einen weiteren will die Firma Augwind demnächst anlegen. Norddeutschland hat rund 400 unterirdische Salzstöcke, die sich für derlei Vorhaben anbieten.
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