Hassrede und Schmutzkampagnen
Von Florencia Beloso, Buenos Aires
Während Armut und Arbeitslosigkeit zunehmen und der Konsum in Argentinien rückläufig ist, verschärft Präsident Javier Milei seinen Diskurs gegen Gegner und Journalisten. Anpassung und Repression, das sind die Markenzeichen seiner Regierung. »Ja, ich bin grausam«, gab er in einer Rede vergangene Woche zu. Ist der autoritäre Präsident einfach ehrlich? Oder sind seine Hassreden Teil einer Kommunikationsstrategie, die für ihn noch immer funktioniert? Milei bezeichnete die Opposition als »geistige Parasiten«. »Ihr dreckigen Kukas (Peronisten, jW), ich bin grausam zu euch, zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes«, sagte er zu Geschäftsleuten bei einem Abendessen, um Mittel für die Kampagne seiner Partei in Buenos Aires zu sammeln. Am selben Abend griff er den derzeitigen Gouverneur der Hauptstadtprovinz, den Peronisten Axel Kicillof, an und bezeichnete ihn als »Sowjet« und »Stalins Taube«. Die Provinz ist die wichtigste Bastion, die der Peronismus noch hat.
Wenige Tage später wiederholte er seine Beleidigungen gegen Journalisten und alle, die anders denken als er. Auch die Journalistin Julia Mengolini stand im Fadenkreuz. Ein Heer von Internettrollen verleumdete sie mit einem per KI generierten Video, das suggeriert, die Journalistin hätte eine inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder. Flankiert wurde das von 85 Tweets, die der Präsident gegen sie veröffentlichte und die der Trollarmee Futter gaben. Zu den repressiven Maßnahmen der Regierung geselle sich eine »diskursive und symbolische Brutalität gegen Journalisten, Künstler und jeden, der es wagt, ihr auch nur ein bisschen zu widersprechen«, schrieb Mengolini über Mileis Kampagne. Die Attacken des Marktfundamentalisten haben das Ziel, die Einschaltquoten bestimmter Sender zu verringern oder deren Berichterstattung über seine Präsidentschaft zu beeinflussen. Dabei geht er auch juristische Wege. In diesem Jahr hat der Präsident Strafanzeige gegen vier Journalisten gestellt: Carlos Pagni von La Nación, Viviana Canosa von Canal 13 und Ari Lijalad von El Destape. In der vergangenen Woche kam noch Mengolini hinzu.
Seit seinen ersten Amtstagen hat Milei eine intensive Kampagne gegen Journalisten gestartet und Hassrede gegen politische Gegner normalisiert. E schuf den Raum für diese Art des Diskurses und verlieh ihr Legitimität, meint Ezequiel Ipar, Forscher am Conicet, der zentralen staatlichen Forschungsorganisation. Die Grenzüberschreitungen sollten von der Zivilgesellschaft angeprangert und konkrete Fälle vor Gericht gebracht werden, so Ipar. Gleichzeitig hat Milei ein Propagandanetzwerk aufgebaut, bestehend aus seinem eigenen X-Account, dem seines Sprechers Manuel Adorni, zwei Streamingkanälen, der Tageszeitung La Derecha (Die Rechte) und einzelnen Journalisten in den traditionellen Medien wie Luis Majul, Jonathan Viale und Esteban Trebucq, die den Präsidenten in ihren Sendungen regelmäßig unkritisch interviewen. Ganz zu schweigen von der Maschinerie aus Influencern, Trollen und bezahlten Bots, die online alle Arten von Falschmeldungen verbreiten.
In einem kürzlich erschienenen Bericht zu einer Umfrage unter 16jährigen im vergangenen Juni kam das Beratungsunternehmen La Sastrería zu dem Schluss, dass sie Gewalt und Korruption als negative Eigenschaften Mileis sehen und Authentizität und Ehrlichkeit bei ihm als positive Eigenschaften hervorheben. Auch wenn es widersprüchlich erscheinen mag, ist es das nicht. Milei wütet und beleidigt, aber wirkt dabei authentisch. Die Kommunikationsstrategie des Präsidenten scheint aufzugehen. Unterdessen kann sich auch die polizeiliche Repression intensivieren. Vor zwei Wochen hat Milei per Dekret verordnet, dass die Bundespolizei mehr Befugnisse bekommen soll. Die digitale Überwachung wird ausgeweitet, die Untersuchungshaft verlängert und Festnahmen sowie Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung ermöglicht – Grundrechte werden somit weiter ausgehöhlt. Bei den wöchentlichen Protesten gegen Rentenkürzungen kommt es schon jetzt regelmäßig zu Polizeigewalt. Auch Festnahmen von politischen Aktivisten häuften sich zuletzt.
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