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Aus: Ausgabe vom 04.07.2025, Seite 4 / Inland
Stromsteuersenkung

Entlastung für Konzerne

Stromsteuersenkung bevorzugt Industrie. Koalition vertröstet Verbraucher
Von Philip Tassev
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Logik des Kapitals: Wer mehr Energie verbraucht, muss weniger Steuern zahlen (Köln, 13.1.2024)

Der Koalitionsausschuss hat am Mittwoch abend nach stundenlanger Sitzung eine Senkung der Stromsteuer für alle abgelehnt. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn rechtfertigte die Entscheidung am Donnerstag im ARD-»Morgenmagazin« damit, dass man ja bereits »Entlastungen« an anderer Stelle auf den Weg gebracht habe, und nannte die Übernahme des Netzentgelts und der Gasspeicherumlage durch den Staat sowie die Ausweitung der sogenannten Mütterrente. Mehr sei zur Zeit nicht drin, so Spahn sinngemäß. Erst wenn »der finanzielle Spielraum da ist, Wachstum da ist oder wir auch andere Maßnahmen zum Sparen finden«, könne irgendwann auch die Stromsteuer für alle Menschen in diesem Land gesenkt werden.

Ähnlich argumentierte die SPD-Vorsitzende und Arbeitsministerin Bärbel Bas. Auch sie übte sich im Vertrösten. »Wir haben jetzt erst mal die Priorität auf die Wirtschaft gelegt«, sagte sie der ARD. Der Arbeitsmarkt sei »sehr angespannt«, man wolle ihn stabilisieren. Wenn es dann wieder höhere Steuereinnahmen gebe, werde man auch »die Verbraucher« weiter »entlasten«. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verteidigte am Donnerstag ebenfalls das Ergebnis der Ausschusssitzung. »Wir können nur das Geld ausgeben, das wir haben«, sagte der gleiche Mann, der seinen Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) problemlos Hunderte Milliarden Euro für Kriegsvorbereitung und Aufrüstung verpulvern lässt.

Dieser Widerspruch fällt sogar manchem Parteikollegen auf. Der CDU-Abgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, empörte sich gegenüber Bild: »Der SPD-Finanzminister macht Rekordschulden, aber hat im Paket keine fünf Milliarden für die Entlastung der privaten Stromrechnung und des Mittelstandes.« Das sei »schwer zu erklären«, weshalb er sich sorge, dass das »Vertrauen in die Politik schwindet, wenn wir unsere Versprechen nicht halten«.

Auch der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Dennis Radtke (CDU), warf mit der gleichen Argumentation der Regierung vor, ein zentrales Wahlversprechen nicht einzulösen. »Diese Koalition hat nicht nur die Aufgabe, Deutschland wieder voranzubringen, sondern auch verlorenes Vertrauen in Politik wiederherzustellen«, sagte Radtke ebenfalls zu Bild.

Von der Reduzierung der Stromsteuer für die Industrie auf 0,1 Cent pro Kilowattstunde würden laut Koalition mehr als 600.000 Unternehmen profitieren, vor allem die Chemie- und Metallindustrie, der Automobil- und Maschinenbau sowie die Hersteller von Glas, Keramik und Papier, außerdem Bäckereien und Fleischereien. Voraussetzung sei ein Mindeststromverbrauch, genannt wurde zuletzt ein Wert von 12,5 Megawattstunden pro Jahr.

Kapitalverbänden geht das noch nicht weit genug. »Die Stromsteuerentscheidung ist ein fatales Signal an die Wirtschaft zur falschen Zeit. Die Senkung der Stromsteuer war im Koalitionsvertrag versprochen und ist überfällig«, sagte etwa der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian. Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, kritisierte mit Blick auf die nun auf 2027 vorgezogene Ausweitung der Mütterrente, dass es für »überflüssige Rentengeschenke« genug Geld gebe, während die Stromsteuer nicht für alle Unternehmen abgesenkt würde. Die Bundesrepublik bleibe auch trotz der angekündigten Übernahme des Netzentgelts durch den Staat bei den Stromkosten an der europäischen Spitze.

Die Kovorsitzende der Linkspartei, Ines Schwerdtner, kritisierte, dass »die einzigen beiden Entlastungsmaßnahmen aus dem Koalitionsvertrag, die kleinen und mittleren Einkommen zugute kommen würden«, am Mittwoch »faktisch beerdigt worden« seien. Bas’ Verweis auf »zu setzende Prioritäten« sei »für eine sozialdemokratische Arbeits- und Sozialministerin ein enttäuschender Offenbarungseid«. Die Aussage, es ginge hier um Entlastung der Wirtschaft und um den Erhalt von Arbeitsplätzen, sei »nur die halbe Wahrheit«, denn dazu gehörten »auch das Handwerk und das nicht produzierende Gewerbe«. Es hätten sich bei der Stromsteuer »einmal mehr die Großen durchgesetzt, während der Rest leer ausgeht«.

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