Tränengas statt Tarifvertrag
Von Volker Hermsdorf
Internationale Organisationen schlagen Alarm. Seit der aus der reichsten Familie des Landes stammende Bananenmogul Daniel Noboa 2023 zum Staats- und Regierungschef Ecuadors gewählt wurde, nehmen dort Menschenrechtsverletzungen und der Abbau demokratischer Rechte dramatisch zu. Vor wenigen Tagen kritisierte das UN-Kinderhilfswerk UNICEF ein neues Gesetz, das Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für Minderjährige vorsieht. Kurz zuvor hatte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) in seinem »Global Rights Index 2025« Ecuador auf Platz drei der weltweit schlimmsten Länder für arbeitende Menschen gesetzt.
In seinem Bericht dokumentierte der IGB Ende Juni beispiellose Angriffe auf die Rechte von Werktätigen. »Ecuador gehört für Gewerkschafter zu den gefährlichsten Ländern der Welt«, heißt es dort. Nur etwa ein Prozent der Beschäftigten könne derzeit von Tarifverträgen profitieren, was hauptsächlich auf Einschüchterungen und restriktive Gesetze zurückzuführen sei. Dadurch seien Gewerkschaftsgründungen in neun von zehn Betrieben »praktisch unmöglich«, so der IGB. Kapitalfreundliche Gesetze stellten unter anderem überhöhte Anforderungen an die Mitgliederzahl und verhinderten die Bildung alternativer Vertretungsstrukturen. Wer sich dennoch organisiert, lebt gefährlich. Gewerkschafter berichten von Bedrohungen, willkürlichen Entlassungen, sogar von Morddrohungen.
Auch das Streikrecht wird ausgehöhlt. Zwar ist dieses in der Verfassung verankert, doch in der Praxis mit so vielen Einschränkungen versehen, dass es oft ins Gegenteil verkehrt wird. In vielen Bereichen – etwa im Bildungswesen, im Gesundheits- oder Transportsektor – ist Streiken de facto verboten. Zudem dürfen Streiks laut Gesetz nur auf Unternehmensebene stattfinden, was nationale Arbeitskämpfe unmöglich macht. Wer sich dennoch an Arbeitsniederlegungen beteiligt, muss mit drastischen Sanktionen bis hin zur Entlassung rechnen. Die Festlegung von »Mindestdiensten« während eines Streiks erfolgt einseitig durch das Arbeitsministerium – ohne Beteiligung der Beschäftigten oder unabhängiger Instanzen.
Dem repressiven Konzept entsprechend geht die Polizei regelmäßig brutal gegen Demonstrierende vor. So im November 2024, als die Dachorganisation Frente Unitario de Trabajadores zu einem friedlichen Protest in der Hauptstadt Quito aufrief – gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung und die systematische Verfolgung von Gewerkschaften. Die Antwort: ein Großaufgebot von über 1.500 Einsatzkräften, abgesperrte Plätze, Festnahmen und Diffamierung durch Präsident Noboa, der die Demonstration als »von Dritten finanziert« bezeichnete.
Was in Ecuador geschieht, ist laut IGB-Bericht exemplarisch für die Tendenz in vielen Ländern: Soziale Rechte geraten durch neoliberale Umstrukturierungen, autoritäre Sicherheitsgesetze und eine politische Elite, die vor allem den Interessen von Großunternehmen verpflichtet ist, zunehmend unter Druck. Der IGB spricht von einem globalen »Putsch gegen die Demokratie«, getragen von rechten Regierungen, unterstützt von Konzernen und reaktionären Netzwerken.
Während Noboas Regierung gewerkschaftliche Rechte schleift, richtet sich ihre repressive Politik zunehmend auch gegen die Jugend. Am 24. Juni verabschiedete Ecuadors Nationalversammlung mit den Stimmen der rechten Regierungsmehrheit ein »Gesetz für öffentliche Integrität«. UNICEF äußerte sich »zutiefst besorgt«, weil es unter anderem bis zu 15 Jahre Haft für minderjährige Straftäter vorsieht. Das sei ein »gefährlicher Rückschritt« für das Jugendstrafrecht, erklärte das UN-Kinderhilfswerk. Zudem verstoße es gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die besondere Schutzrechte für Minderjährige garantiere. »Solche Strafen lösen keine strukturellen Probleme und verschärfen lediglich die ohnehin angespannte Lage im Land«, warnt UNICEF.
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