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Aus: Ausgabe vom 01.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Fahrt ins Grüne

Bachmannpreisprognosen und das gute Gefühl, richtig gelegen zu haben
Von Peter Wawerzinek
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Mit dem Bachmannpreiswettlesen in Klagenfurt bin ich durch, sollte man meinen. Nun ja. Weil ich ihn damals 2010 gewonnen und obendrein den Preis des Publikums bekommen habe. Ich durfte dank des Gewinns ein halbes Jahr in Klagenfurt Stadtschreiber sein. Eine wunderbare Zeit, ich wohnte im Europahaus. Der Hausmeister war ein ehemaliger Eishockeyspieler. Ich liebe diesen Sport seit meiner Jugend sehr. Wir verstanden uns herrlich, er wurde ein wirklich guter Freund. Meinen 57. Geburtstag organisierten wir zusammen. So mit Sektempfang und Stadtrundfahrt im Traditionsbus für meine Gäste. Alle wurden bestens untergebracht. Ich lernte die Leute dort kennen und sie mich. Ich saß oft und gern in der Theaterklause, kam mit vielen interessanten Persönlichkeiten der Stadt zusammen. Wir heckten allerlei aus, arbeiteten in den wenigen Monaten intensiv zusammen. Ich schrieb mit Karsten Krampitz ein Buch über die Stadt, wie wir sie erlebt haben, was in ihr abläuft und sonst so geschieht, wovon nicht jeder wissen kann.

Danach reiste ich etliche Male als Pressevertreter zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur, traf alte Bekannte wieder, konnte den Wettbewerb und die Lesungen aus nächster Nähe erleben, ohne selbst involviert zu sein. Ich beobachtete die Lesenden, studierte das Benehmen der Jurymitglieder. Ich stellte Vermutungen an, schloss manchmal Wetten zu Verlierern und Gewinnern ab, verlor oder behielt recht. Bekam Einblick in allerlei kleine Hintergründe, von denen nicht sonderlich viel nach außen dringt. Dann durfte ich sogar die Eröffnungsrede halten, in der ich behauptete, ein Wahlkärntner zu sein.

Die Rede liegt zehn Jahre zurück. Ich bin inzwischen Ehrenmitglied des dortigen Schriftstellervereins. Zwei, drei Mal im Jahr halte ich mich in Klagenfurt auf oder verbringe ein paar Tage in Villach, nur um dort die Luft zu schnuppern, die Berge zu betrachten, die ganze Atmosphäre zu spüren und vertraute Orte aufzusuchen, wenn kein Bachmannlesen ist. Jedes Jahr wieder denke ich, ich habe genug vom Wettlesen. Doch es lässt mich nicht los. Ich muss es weiter ansehen, den Lesenden zuhören, live miterleben, wie die Jury die Kandidaten bewertet. Will mir immer wieder so meine Gedanken zu den möglichen Preisträgern machen. Wenn die einzelnen Teilnehmer vorgestellt werden, bin ich versucht, diejenigen unter ihnen herauszufinden, die versucht sein könnten zu provozieren, die Regeln und Gepflogenheiten aus den Angeln zu heben. Oft genug irre ich mich. Mitunter aber lande ich Volltreffer.

Es ändert auch der Umstand nichts, dass ich den mehrtägigen Wettbewerb nur noch am Fernseher erlebe. Ich weiß, wie die Pausen zwischen den Beiträgen sind, was in der Kantine geredet und verhandelt wird, was in den Studios und an den vielen kleinen Nebenschauplätzen abgeht. Ich sehe den Innenhof und sitze mitten unter den Zuhörern. Ich sehe die Kandidaten die lange Treppe hinauf bis in den Übertragungsraum steigen. Ich höre die Töne, rieche die Luft, vernehme wieder das Geräusch, wie die Seiten während des Vortrags gleichzeitig im Zuschauerraum umgeblättert werden.

Dann ruft mich meine Partnerin an, sagt, sie habe soeben die kommende Preisträgerin gehört (Natascha Gangl, jW) und gesehen. Sie nennt den Namen und liegt mit ihrer Weissagung am Sonntag vollkommen richtig. Ich war auch ganz gut und hatte schon im Vorfeld Überlegungen angestellt, welches Jurymitglied nach den ungeschriebenen Gesetzen der Rotation bei diesem Spektakel sich über den Hauptpreis für einen seiner Kandidaten freuen darf (Brigitte Schwens-Harrant, jW). Meine Vermutung wurde bestätigt. So waren wir beide am Ende mehr als gut gelaunt. Der erste Platz stimmte. Die Jurorin hielt ihre Laudatio. Wir führten einen kleinen Freudentanz auf. Ganz in dem Gefühl, richtig gelegen zu haben, und dem schönen Bewusstsein, dass in diesem Jahr – letztendlich knapp, aber immerhin – die Literatur gewonnen hat, fuhren wir mit dem Auto ins Grüne.

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