Lunge der Welt brennt
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Die Hiobsbotschaft vor der Weltklimakonferenz COP 30, die im brasilianischen Belém do Pará stattfinden wird: Im vergangenen Jahr verbrannte so viel Fläche wie noch nie im brasilianischen Amazonasgebiet. Insgesamt 15,6 Millionen Hektar Regenwald raubten die Flammen, fast doppelt so viel wie im Vorjahr, als 8,4 Millionen Hektar – mehrheitlich durch Menschenhand verursacht – abbrannten. Die bisherigen Spitzenjahre waren 2005 und 2007 mit mehr als zehn Millionen Hektar zerstörter Vegetation. Die Zahlen stammen aus dem jetzt veröffentlichten Brandbericht des Forschungsnetzwerks Mapbiomas, das die ökologischen Veränderungen in den sechs brasilianischen Hauptökosystemen Amazonasregenwald, Atlantischer Regenwald, Caatinga, Cerrado, Pantanal und Pampa überwacht.
Laut Felipe Martenexen, Koordinator der Kartierung des Amazonasbioms bei Mapbiomas, sei die Situation alarmierend, da die Feuer kein natürlicher Bestandteil der ökologischen Dynamik seien. Die Brände 2024 seien die Folge menschlichen Handelns, u. a. Brandrodungen, verschärft durch zwei aufeinanderfolgende Jahre mit extremer Dürre. Martenexen: »Die Kombination aus leicht entflammbarer Vegetation, niedriger Luftfeuchtigkeit und dem Einsatz von Feuer schuf ideale Bedingungen für eine großflächige Feuerausbreitung und führte zu einem historischen Rekord von verbrannten Flächen in der Region.«
Auch für die Region des Atlantischen Regenwaldes in Süd-, Südost- und Nordostbrasilien war 2024 ein trauriges Rekordjahr mit einer abgefackelten Fläche von mehr als 1,2 Millionen Hektar. Rund eine Million Hektar mehr als 2023 und fast doppelt so viel wie im bisher schlimmsten Brandjahr 2003, als 692.482 Hektar ein Raub der Flammen wurden. Für das Pantanal wurde 2024 zwar nicht der Höchstwert erreicht, doch verdreifachte sich die verbrannte Fläche von 628.363 Hektar im Jahr 2023 auf 2,22 Millionen Hektar. In den bisher schlimmsten Katastrophenjahren dieses weltweit größten saisonal überschwemmten Feuchtgebiets – 1999 und 2020 – brannten 2,73 Millionen Hektar sowie 2,59 Millionen Hektar ab. Im zentralbrasilianischen Cerrado fing im vergangenen Jahr eine Fläche von 10,57 Millionen Hektar Feuer – gegenüber »nur« sechs Millionen Hektar im Vorjahr. Die bisher größte Fläche allerdings, 17,69 Millionen Hektar, verbrannte im Jahr 2007. Die Zahlen von Mapbiomas korrelieren mit den Daten des für die Waldüberwachung per Satellit zuständigen Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE), das die Zahl der jährlichen Brandherde seit 1998 aufzeichnet.
Besonders alarmierend sei, dass 72 Prozent der nun verbrannten Gesamtfläche natürliche Waldgebiete gewesen seien. Eine der Hauptursachen von Abholzung, Brandrodung und Ausbreitung von Flächenbränden sind Straßenbau und Forstschneisen, die den Zugang zu neuen Flächen ermöglichen. Genau das will ein neues Gesetz noch erleichtern. Der »Gesetzentwurf zur Umweltverwüstung« (Projeto de Lei da Devastação PL 2159/2021) steht in Brasília kurz vor seiner Verabschiedung und könnte das Schicksal Amazoniens und des Weltklimas besiegeln.
Das »Verwüstungsgesetz«, so dessen Kritiker, werde Brasiliens Umweltgenehmigungssystem faktisch aushebeln. Es öffne auch die Tür für die ausgerechnet vom linken Präsidenten Brasiliens, Lula da Silva, befürwortete Wiederherstellung und Asphaltierung der Regenwaldtrasse BR-319 von Manaus nach Porto Velho. Zusammen mit weiteren geplanten Nebenstraßen setze dieses Straßenbauprojekt riesige Gebiete mit noch intaktem Regenwald im Herzen des Amazonasgebiets der Abholzung aus und könne zu einem Kollaps der größten Regenwaldregion der Erde führen, befürchten Wissenschaftler wie Philip Martin Fearnside vom Nationalen Institut für Amazonasforschung (INPA).
Angesichts der möglichen Folgen hat die Brasilianische Akademie der Wissenschaften (ABC) in Rio de Janeiro den Senat in Brasília aufgefordert, die Abstimmung auszusetzen. »Die übereilte Verabschiedung eines Gesetzentwurfs mit so erheblichen Auswirkungen ohne angemessene Debatte mit der Gesellschaft und der wissenschaftlichen Gemeinschaft gefährdet die Zukunft des Landes. Der Vorschlag in seiner jetzigen Form schwächt wesentliche Instrumente des Umweltschutzes unter dem falschen Versprechen der Effizienz und ignoriert dabei Belege für die Risiken der Umweltzerstörung für Biome, die Sicherheit der Bevölkerung und eine nachhaltige Entwicklung«, so die Präsidentin der Brasilianischen Akademie der Wissenschaften, Helena Bonciani Nader. »Am Vorabend der COP 30 ist es inakzeptabel, dass Vorschläge vorgelegt werden, die international anerkannte Umweltverpflichtungen abwerten und grundlegende Rechtsrahmen schwächen.« Bereits Anfang Juni hatten Umweltgruppen und soziale Bewegungen im ganzen Land zu Demonstrationen gegen den Gesetzentwurf aufgerufen, die aber kaum von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und in Medien aufgegriffen wurden.
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