Gideon Levy über Massaker der israelischen Armee an Hungernden in Gaza

In seiner Kolumne in der israelischen Tageszeitung Haaretz vom Montag befasst sich der Journalist Gideon Levy mit den Schüssen auf Palästinenser an Essensausgabestellen in Gaza:
Man kann das, was dort seit mehreren Wochen geschieht, nur als Völkermord bezeichnen. Völkermord mit Vorsatz, Völkermord als Ziel, mit dem Ausmaß eines Völkermords, Völkermord um des Völkermords willen.
Wenn Israel dem nicht sofort – nicht morgen, sondern heute – ein Ende setzt, kann es nicht länger von einem Vertrauensvorschuss profitieren. Aus rechtlicher Sicht müssen wir natürlich weiterhin auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag warten, das sich so lange hinzieht, dass man sich Sorgen macht, ob bis dahin noch viele Palästinenser in Gaza am Leben sein werden. (…)
Soldaten der israelischen Streitkräfte erhalten den Befehl, hungernde Menschenmassen zu erschießen. Diese Massen versammeln sich dort, nachdem Israel in einer Mischung aus Torheit und Bosheit veranlasst hat, engagierte und erfahrene UN-Organisationen abzuziehen und durch eine mysteriöse und monströse amerikanisch-israelische Organisation mit evangelikaler Ausrichtung zu ersetzen. Diese Organisation hat beschlossen, dass zwei Millionen hungernde Menschen mit nur vier Verteilungsstellen auskommen müssen, die eine Stunde am Tag geöffnet sind, und dass dort die gleiche Ordnung herrschen soll wie in der Schlange vor der US-Botschaft in Tel Aviv. Es stellt sich heraus, dass zwei Millionen entrechtete und hungernde Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, sich anders verhalten als die satten und eleganten Visumantragsteller in Tel Aviv.
Das menschliche Massenexperiment ist gescheitert, und die moralischste Armee der Welt wurde mobilisiert, um eine Lösung zu finden: Diese bestand darin, mit scharfer Munition auf die Menschenmassen zu schießen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Mindestens 549 Menschen wurden auf diese Weise bereits getötet, Tausende weitere sind verletzt, hungrig, erschöpft und stehen unter Schock angesichts dessen, was ihnen in den letzten anderthalb Jahren widerfahren ist – Menschen, deren einziger Wunsch es war, ihren Kindern eine Tüte Mehl zu bringen. Die Kommandeure der israelischen Streitkräfte entschieden über ihr Schicksal: Das Gebiet, in dem sie sich befanden und das eigentlich ein sicheres Gebiet sein sollte, war eine Todeszone. (…) Nur sehr wenige Menschen interessieren sich dafür, nur wenige berichten darüber, und nur wenige in Israel sind darüber schockiert. Wenn es keine unschuldigen Menschen im Gazastreifen gibt, gibt es auch kein Mitgefühl für seine Bewohner. (…)
»Gaza ist ein Paralleluniversum«, sagte ein Offizier gegenüber Haaretz. Das ist der Kern der Sache, die Frage des Völkermords. Gaza ist kein Paralleluniversum. Gaza ist das Gesicht der IDF und des Staates Israel. Was in Gaza geschieht, wird nicht in Gaza bleiben, auch wenn die meisten israelischen Medien dies wünschen. Was in Gaza geschieht, definiert Israel in der Welt, und was in Gaza geschieht, wird die israelische Gesellschaft für viele Jahre prägen. Wenn Israel zum Völkermordstaat erklärt wird, dann ist es Israel, das zu einem Paralleluniversum wird.
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