Kliniken kurz vor Nullinie
Von Gudrun Giese
Das passiert, wenn Krankenhäuser gezwungen sind, renditeorientiert zu arbeiten: Irgendwann werfen sie nicht mehr genug Profit ab. So verwundert es nicht, dass das unternehmensnahe RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung aus Essen in seinem 21. »Krankenhaus-Rating-Report« den Kliniken in der Mehrzahl miserable ökonomische Werte attestiert.
Die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser habe sich 2023 und nach ersten Einblicken in Bilanzen auch 2024 wiederum verschlechtert, heißt es in einer Pressemitteilung des Instituts vom Donnerstag. Für das vergangene Jahr könnten 56 Prozent der Kliniken einen Jahresverlust ausweisen. Herangezogen wurden für den Report 442 Jahresabschlüsse aus dem Jahr 2023 sowie eine Sonderauswertung von 124 geprüften Jahresabschlüssen aus dem vergangenen Jahr. Insgesamt wurden die Wirtschaftsdaten von 888 Krankenhäusern erfasst.
Kliniken in privater und freigemeinnütziger Trägerschaft hätten im Rating besser abgeschnitten als öffentlich-rechtliche Häuser. Unerwähnt bleibt dabei, dass kommunale Kliniken alle Versorgungen aufrechterhalten müssen, während sich private oft die lukrativen Elemente wie die Transplantation künstlicher Gelenke herauspicken. Neben dem RWI erarbeitete das Institute for Healthcare Business in Kooperation mit der Bank im Bistum Essen die Auswertung, die am Donnerstag beim »Hauptstadtkongress 2025 – Medizin und Gesundheit« vorgestellt wurde. Alarmismus stand dabei im Mittelpunkt.
»Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser war noch nie so angespannt«, sagte der RWI-Gesundheitsexperte Boris Augurzky in Berlin. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD liefere zwar einige Verbesserungen, die jedoch nicht ausreichten. »Wollen wir die Finanzierung des Gesundheitswesens nachhaltig sichern, ohne Unternehmen und Bürger zu überfordern, muss die Bundesregierung mutiger sein.« Da immer mehr Kliniken wegen der Verluste und geringer Liquiditätsreserven in Schieflage bis hin zur drohenden Insolvenz gerieten, müsse das Gesundheitssystem stabilisiert werden. Ohne einschneidende »Reformen« könnten die Sozialabgaben bis 2025 auf über fünfzig Prozent steigen.
Angesichts der zuletzt wieder gestiegenen Fallzahlen in den Krankenhäusern nennt das RWI im Bericht folgerichtig als kostendämpfende Maßnahme Nummer eins: »Weniger Behandlungen sollte (sic!) das oberste Ziel sein.« Mithilfe des Hausarztprinzips, das »Schwarz-Rot« plant, durch Leitstellen und die bereits von Exgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Weg gebrachte elektronische Patientenakte ließen sich die Kranken besser steuern. »Einfache Fälle sind dann über die Basisversorgung, komplexere Behandlungen hingegen vom Spezialisten abzudecken. Unnötige Fälle gilt es ganz zu vermeiden.« Das RWI vermeidet zu definieren, was »unnötige Fälle« sind.
Allerdings möchte das Institut die »Gesundheitskompetenz bei den Bürgerinnen und Bürgern« stärken, womit vermutlich weniger gemeint ist, sportliche Betätigung anzuregen und gesunde Lebensmittel durch Streichung der Mehrwertsteuer günstiger zu machen. Das RWI setzt darauf, dass »künstliche Intelligenz und die elektronische Patientenakte« den Kranken helfen könnten, sich »leichter im System zurechtzufinden und bessere Entscheidungen zu treffen« – im Zweifelsfall gegen die Abklärung von Symptomen, denn am Ende entpuppen die sich noch als unnötiger Fall. Dafür sollten die Patienten »sozial gerecht« an den Gesundheitskosten beteiligt werden, findet das RWI.
Generell benötige das Gesundheitswesen mehr Gestaltungsfreiheit, damit gute Ideen vor Ort umgesetzt werden könnten. Die vermeintlich guten Ideen liefert das Institut gleich selbst: mehr ambulante Behandlungen, bessere Prävention, Einsatz von Patientenlotsen sowie den Wettbewerb fördernde Regionalbudgets. Und auch die Ecke zur Kriegsvorbereitung darf nicht fehlen: Nötig sei ein »Gesundheitssicherstellungsgesetz«, das »im Verteidigungsfall die Koordination der Verwundetenversorgung in die Hände des Sanitätsdienstes der Bundeswehr« legen soll. Damit ist wirklich alles gesagt.
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