Hineinschreiben in die Welt
Von Barbara Eder
Mit Ideologie ist es bekanntermaßen so eine Sache: Wer sich ihrer jeweils dominanten Ausprägung verschreibt, sieht keinen Grund mehr zur Verständigung – sie wird zum kleinsten gemeinsamen Nenner, zur stillschweigenden Grundierung allen Urteilens. Und weil ihr niemand entkommt, schmeckt der kulturkritische Einheitsbrei entsprechend fad: Punk ohne Klassenhass, Feminismus ohne Kapitalismuskritik, Coca-Cola ohne Zucker. Dabei wäre ein Schuss linker Ideologie genau das, was es bräuchte – die Prise Salz in der Suppe, der Zucker im schal gewordenen Literaturdiskurs.
Von den Begrüßungsfloskeln bei der Eröffnung der 49. Tage der deutschsprachigen Literatur (TddL) am Mittwoch abend durfte man derartiges nicht erwarten. Die dort abgesonderten Wortmeldungen kamen von Funktionsträgern der Kärntner Elektrizitätsaktiengesellschaft Kelag und der BKS Bank. Von 3sat-Moderatorin Cécile Schortmann nach ihren literarischen Evergreens befragt, einigten sich die Repräsentanten der preisstiftenden Kapitalfraktion schnell auf Schullektüren wie Dürrenmatts »Die Physiker«, am Nachtisch befänden sich aber auch Werke von Josef Winkler und Maja Haderlap. Die Magischen Kanäle im Dahinter sorgten für satte Präsenz: Peter Schöber, Geschäftsführer und Programmchef des Kulturspartenkanals ORF III, richtete Grüße von ORF-Generalintendant Roland Weißmann aus und verwies auf den nötigen Erhalt von 3sat; René Aguigah, Literaturressortleiter beim Preisstifter Deutschlandfunk Kultur, gemahnte der Kritik als »Kunst der Unterscheidung«, die im Dauerstream der Push-Meldungen zunehmend verlorengehe. Werbung für den eigenen Sender ist noch keine Reklame fürs Unmenschliche – und doch hat der herbeigesehnte Skandal bereits stattgefunden: Das Klagenfurter Stadtschreiberstipendium wurde gestrichen, der Klagenfurter Literaturkurs finanziell abgewickelt.
Statt dessen pflegt man Mesalliancen mit dem Carinthischen Sommer – samt Stipendium, dessen Gewinner noch zu ermitteln ist. Vielleicht ist das dort unter der Intendanz von Nadja Kayali zur Aufführung gelangende Stück »Zöglinge«, das Schenja Berkowitsch im Moskauer Frauengefängnis schrieb, bereits Ausdruck von »Innovation, Mut und sprachlicher Brillianz«, wie Klagenfurts Bürgermeister Christian Scheider das fordert, vielleicht aber auch ein Plädoyer für jenen »Humanismus«, dem SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser anhängt. Sofern er Eigentum hat, steht der Bürger freilich immer noch im Zentrum der Literatur – auch dann, wenn sich der dazugehörige Markt verändert. In seinem Eröffnungsstatement »Aus Kostengründen« berichtete Juryvorsitz Klaus Kastberger von rechten Umtrieben in der steirischen Hauptstadt Graz, wo derzeit ein Naziverleger mit dem Titel »Hitler in Hell. Was er noch zu sagen hätte …« reüssiere – in Konsequenz der blauen Einfärbung von Österreichs »Grünem Herzen«.
Die Fetischisierung der schwarzen Null ist derzeit fester Bestandteil des österreichischen Regierungskurses, gespart werde vor allem dort, wo es ohnehin »wenig zu holen« gebe: in der freien Szene. Kastbergers Neoliberalismuskritik in Lightversion erwies sich durchaus als anschlussfähig: In ihrer Eröffnungsrede »Drei Tage im Mai« setzte Nava Ebrahimi, Bachmannpreisträgerin von 2021, dem Eskapismus der Techeliten die Utopie von der »Bewohnbarkeit der Welt« entgegen. Anstatt in diese »hinauszuscheißen« – so Ferdinand Schmalz bei seiner Eröffnungsrede im letzten Jahr – will man sich offenbar wieder in sie hineinschreiben. Die ideologischen Deutungsangebote, die dazu einladen, sind bislang beschränkt.
Hinweis: In einer ersten Fassung des Artikels hieß es, der Publikumspreis sei gestrichen worden. Das ist nicht der Fall. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)
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