Eine Python namens Giuliana
Von André Weikard
Ob Liebe Sünde sein kann, fragte der deutsche Schlager einmal scheinheilig naiv. Die italienische Pornoindustrie war in den 80er Jahren schon einen Schritt weiter. Sie wollte den Sex politisch machen. Sie wollte mit dem Dildo dem Kruzifix und mit blankem Busen der Bigotterie beikommen. So erzählt es Debora Attanasio. Sie war Sekretärin bei Diva Futura, der wohl ersten Agentur für Pornodarstellerinnen in Italien. Damals liefen Sexfilme noch im Kino, wurden mehr oder weniger aufwendig inszeniert und brachten echte Stars hervor. Moana Pozzi zum Beispiel, Éva Henger und die schillernde Ilona Staller, bekannt als Cicciolina. Entdeckt hat sie alle Riccardo Schicchi, der Erfinder und Macher der Pornofirma.
Schicchi steht im Zentrum von Attanasios Erinnerungsbuch »Non dite alla mamma che faccio la segretaria« (Sag Mama nicht, dass ich die Sekretärin bin) und nun des Films »Diva Futura« von Giulia Louise Steigerwalt. Und ebendieser Schicchi, gespielt von Pietro Castellitto, ist ganz anders, als man sich einen Pornoproduzenten so vorstellt. Kein schmieriger, geldgeiler, dickbäuchiger Kapitalist, sondern ein treudoofer, naiver Enthusiast. Einer, der Mädchen nach Hause schickt, nur weil sie noch zu jung für die Kamera sind. Der ständig Filmideen phantasiert und dabei seinen Autoschlüssel verbummelt. Der sich auf ruinöse Geschäfte einlässt, weil er seine Partner für Freunde hält und alles daran setzt, seine Familie zu beschützen. Einer, der in seinem Büro 23 Katzen hält und eine Python namens Giuliana.
Doch das goldene Zeitalter des Pornos, die Zeiten, in denen die Cicciolina es mit ihren radikal-liberalen Ideen als Abgeordnete ins italienische Parlament schafft (1987–1992), Jahre, in denen die Staller im TV blank zieht und anbietet, mit Saddam Hussein zu schlafen, wenn es dem Weltfrieden diene, vergehen rasch.
Der Diktator lässt nicht von sich hören. Moana Pozzi, die es mit ihrer »Partei der Liebe« der Cicciolina gleich tun will und für das Bürgermeisteramt von Rom kandidiert, schafft es nicht mal in die Stichwahl. Billigkopien verdrängen den künstlerisch ambitionierten Hochglanzporno, und weil Schicchi sich weigert, Vergewaltigungsszenen zu drehen und seine Diven vor der Kamera zu erniedrigen, floppen seine Produktionen zunehmend. »Ich will verblüffen, nicht demütigen«, sagt er im Film. Und: »Wir sind amoralisch, nicht unmoralisch.«
Wer für ihn arbeite, werde nie alt, verspricht Schicchi immer. Er selbst wird es. Er leidet an Diabetes und verliert das Augenlicht. Die Pozzi stirbt mit 33 an einem Lebertumor. Bei ihrem letzten Dreh benötigt sie ein Körperdouble. Schicchi wird ängstlich. Lässt in der Agentur und zu Hause »Bunker« bauen, Räume mit zugemauerten Fenstern und Sicherheitstüren. Lebt weiter mit seiner Frau zusammen, der Darstellerin Éva Henger, auch wenn sein »Bärchen« längst einen anderen liebt. Und so ist »Diva Futura« nur ein wenig bunte Komödie und vor allem ein nostalgisch-schwermütiger Blick in den Rückspiegel, Marke: »verlorenes Paradies«.
Am Ende frisst die Revolution ihre Kinder, die Maus nagt an der verstorbenen Python, und das Internet gibt der Diva Futura den Todesstoß. »Unser Fehler war, dass wir die Normen öffentlich umstürzen wollten und nicht im Verborgenen«, sagt Schicchi. Ob’s wirklich so war? Ob die Agentur eine Traumfabrik sein wollte und nicht bloß eine Geldmaschine? Ob die Frauen dort respektiert wurden und sich ihre Jobs nicht erschlafen mussten, wie überall sonst in der Branche? Für einige hat es sich zumindest so angefühlt.
Stärkste Szene im Film: Auf die Nachricht vom frühen Tod Moana Pozzis hin öffnet der sichtlich mitgenommene Schicchi die Agenturtür. 23 Katzen schlüpfen zwischen seinen Beinen hinaus. »Lieber ein kurzes Leben in Freiheit als ein langes in einem Käfig«, sagt die Erzählstimme aus dem Off. Und dass manche dieser Katzen überfahren wurden, andere nie mehr gesehen. Nur manche, die kamen davon. Und fanden ein neues Zuhause. Als die Diva Futura nicht mehr da war.
»Diva Futura«, Regie: Giulia Louise Steigerwalt, Italien 2024, 125 Min., bereits angelaufen
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