Philosoph Erich Hahn gestorben
Der marxistische Philosoph Erich Hahn ist tot. Er starb am Dienstag im Alter von 95 Jahren in Berlin. Das erfuhr jW am Donnerstag von der Familie. In Kiel geboren, schloss sich Hahn als landwirtschaftlicher Lehrling der FDJ an. An der Berliner Humboldt-Universität studierte er zunächst Geschichte, dann Philosophie. 1965 habilitiert, leitete Hahn das Institut für marxistisch-leninistische Philosophie an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED. 1976 wurde er Kandidat des ZK, dem er von 1981 bis 1989 angehörte. Zu Hahns einflussreichsten Arbeiten zählt »Soziale Wirklichkeit und soziologische Erkenntnis« (1965). (jW)
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Erstens verdanke ich ihm eine glückliche, vierjährige, planmäßige Aspiranturzeit von 1971 bis 1975 mit dem erfolgreichen Abschluss der Promotion. Die Kameradschaftlichkeit, die wechselseitige Hilfe und ein für das Innenleben der SED beachtlicher Grad politisch-theoretischer Offenheit und Ehrlichkeit in den vielen Debatten waren in seinem Institut charakteristisch. Aus heutiger Sicht wird deutlich, dass jene Jahre nach dem Wechsel von der »Ulbricht- in die Honecker-Ära« eine gewisse Phase des Aufschwungs und Tabubruchs in der SED darstellen, die allerdings aus vielerlei Gründen in den 1970er und 1980er Jahren schrittweise in eine Phase der Erstarrung und Stagnation übergingen.
Zweitens verdanke ich Erich Hahn die Rückkehr an die Akademie für Gesellschaftswissenschaften (AfGW) im Herbst 1989. Ich war 1986 aus einer politisch-militärischen Funktion »entfernt« worden, weil ich, wie es im entsprechenden Parteideutsch hieß, »in kompakter Form vom Marxismus-Leninismus abgewichen« sei und mich auf »opportunistische und revisionistische Positionen« begeben hätte. Ich war entschlossen, nach der formalen Streichung der Parteistrafe die zweite Promotion anzustreben, denn selbst im Herbst 1989 hing ich noch der Illusion an, dass die SED-Politik mit Hilfe wissenschaftlicher Arbeit verändert werden könne. Die negativen Konsequenzen des Primats der Politik gegenüber der Gesellschaftswissenschaft, wie sie in spezifischer Weise in der SED ausgeprägt waren, kannte ich, aber übertrieb sie nicht und die später vom todeskranken Erich Honecker während seiner Haft geäußerte Meinung, dass die Akademie »ein Nest voller Feinde« gewesen sei, spielte keine Rolle und halte ich für unsinnig und seiner Lebenssituation geschuldet.
Die Hilfe und Unterstützung von Prof. Dr. Erich Hahn, dem Leiter des Instituts und Mitglied des ZK der SED, den ich aus den Jahren der Aspirantur persönlich kannte, spielten bei der Aufnahme meiner Tätigkeit an der Akademie eine entscheidende Rolle. Er war erfahren genug und politisch so klug, meine Parteistrafe wegen »Revisionismus« nicht ernst zu nehmen und ließ sich stattdessen von unserer während der Aspirantur entstandenen persönlichen Hochachtung und seiner eigenen Haltung leiten. Das Spektrum innerparteilicher Beziehungen offenbart eben viele Nuancen, auch eines Mitglieds des ZK.
Drittens verdanke ich Erich Hahn eine fast halbjährliche intensive Phase kritischer und selbstkritischer Auseinandersetzungen im Institut für Philosophie über die krisenhafte und letztlich gescheiterte Entwicklung der SED und der DDR. Solche Diskussionen wie in den Monaten November 1989 bis Ende März 1990, meinem Ausscheiden aus der Akademie, hatte ich bis dahin nicht erlebt und sind bis heute selbst unter den Linken leider nicht wieder bestimmend geworden. Ich empfand sie als einen Aufbruch aus »selbstverschuldeter Unmündigkeit«, wie es Erich Hahn, auf Kant fußend, verdeutlichte. Die Verteidigung Marx’scher Positionen zum dialektischen und historischen Materialismus, die Auseinandersetzung mit dem »Stalinismus als System«, „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ als notwendiger und produktiver Kompromiss von SED und SPD waren nur einige der Themen, die Erich Hahn damals auf die Tagesordnung des Instituts setzte. Sträflicher Weise wird diese besondere und gravierende Etappe meistens außen vor gelassen, wenn über die Entwicklung der Philosophie und Ideologie in der SED und DDR gesprochen wird.
Dass anfangs der illusionäre Gedanke der »Erneuerung« des Realsozialismus dabei eine große Rolle spielte, ähnlich wie auf dem Parteitag des Umbruchs von der SED zur PDS und im Aufruf einflussreicher Intellektueller der DDR, wird kein ernsthafter Historiker übersehen. Von Jean Jaures stammt der für solche Phasen historisch-kritischen Nach-Denkens wichtige Gedanke, dem auch Erich Hahn anhing: »Wir nehmen aus der Geschichte das Feuer, nicht die Asche.«