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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 2 / Feuilleton

Philosoph Erich Hahn gestorben

Der marxistische Philosoph Erich Hahn ist tot. Er starb am Dienstag im Alter von 95 Jahren in Berlin. Das erfuhr jW am Donnerstag von der Familie. In Kiel geboren, schloss sich Hahn als landwirtschaftlicher Lehrling der FDJ an. An der Berliner Humboldt-Universität studierte er zunächst Geschichte, dann Philosophie. 1965 habilitiert, leitete Hahn das Institut für marxistisch-leninistische Philosophie an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED. 1976 wurde er Kandidat des ZK, dem er von 1981 bis 1989 angehörte. Zu Hahns einflussreichsten Arbeiten zählt »Soziale Wirklichkeit und soziologische Erkenntnis« (1965). (jW)

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  • Leserbrief von Lothar Tyb’l (7. Juli 2025 um 15:17 Uhr)
    Mit dem Volksmund gesprochen, galt Erich Hahn viele Jahre als »Chefphilosoph« in der SED und DDR, was verständlich macht, dass sein Ableben am 24. Juni 2025 die Analytiker und Bewerter seiner Leistungen für die Entwicklung der Philosophie, die Politik der SED und das geistig-kulturelle Leben in der DDR auf den Plan rufen muss und wird. Lange genug wurde er seit dem Beitritt bzw. Anschluss der DDR an die BRD dem Vergessen anheimgestellt oder diffamiert, statt die Leistungen und Grenzen, Stärken und Schwächen seines Philosophierens sachlich aufzuzeigen. Das will und kann ich mit meiner kurzen Wortmeldung nicht leisten. Am Herzen liegt mir, Erich Hahn persönlich zu danken.
    Erstens verdanke ich ihm eine glückliche, vierjährige, planmäßige Aspiranturzeit von 1971 bis 1975 mit dem erfolgreichen Abschluss der Promotion. Die Kameradschaftlichkeit, die wechselseitige Hilfe und ein für das Innenleben der SED beachtlicher Grad politisch-theoretischer Offenheit und Ehrlichkeit in den vielen Debatten waren in seinem Institut charakteristisch. Aus heutiger Sicht wird deutlich, dass jene Jahre nach dem Wechsel von der »Ulbricht- in die Honecker-Ära« eine gewisse Phase des Aufschwungs und Tabubruchs in der SED darstellen, die allerdings aus vielerlei Gründen in den 1970er und 1980er Jahren schrittweise in eine Phase der Erstarrung und Stagnation übergingen.
    Zweitens verdanke ich Erich Hahn die Rückkehr an die Akademie für Gesellschaftswissenschaften (AfGW) im Herbst 1989. Ich war 1986 aus einer politisch-militärischen Funktion »entfernt« worden, weil ich, wie es im entsprechenden Parteideutsch hieß, »in kompakter Form vom Marxismus-Leninismus abgewichen« sei und mich auf »opportunistische und revisionistische Positionen« begeben hätte. Ich war entschlossen, nach der formalen Streichung der Parteistrafe die zweite Promotion anzustreben, denn selbst im Herbst 1989 hing ich noch der Illusion an, dass die SED-Politik mit Hilfe wissenschaftlicher Arbeit verändert werden könne. Die negativen Konsequenzen des Primats der Politik gegenüber der Gesellschaftswissenschaft, wie sie in spezifischer Weise in der SED ausgeprägt waren, kannte ich, aber übertrieb sie nicht und die später vom todeskranken Erich Honecker während seiner Haft geäußerte Meinung, dass die Akademie »ein Nest voller Feinde« gewesen sei, spielte keine Rolle und halte ich für unsinnig und seiner Lebenssituation geschuldet.
    Die Hilfe und Unterstützung von Prof. Dr. Erich Hahn, dem Leiter des Instituts und Mitglied des ZK der SED, den ich aus den Jahren der Aspirantur persönlich kannte, spielten bei der Aufnahme meiner Tätigkeit an der Akademie eine entscheidende Rolle. Er war erfahren genug und politisch so klug, meine Parteistrafe wegen »Revisionismus« nicht ernst zu nehmen und ließ sich stattdessen von unserer während der Aspirantur entstandenen persönlichen Hochachtung und seiner eigenen Haltung leiten. Das Spektrum innerparteilicher Beziehungen offenbart eben viele Nuancen, auch eines Mitglieds des ZK.
    Drittens verdanke ich Erich Hahn eine fast halbjährliche intensive Phase kritischer und selbstkritischer Auseinandersetzungen im Institut für Philosophie über die krisenhafte und letztlich gescheiterte Entwicklung der SED und der DDR. Solche Diskussionen wie in den Monaten November 1989 bis Ende März 1990, meinem Ausscheiden aus der Akademie, hatte ich bis dahin nicht erlebt und sind bis heute selbst unter den Linken leider nicht wieder bestimmend geworden. Ich empfand sie als einen Aufbruch aus »selbstverschuldeter Unmündigkeit«, wie es Erich Hahn, auf Kant fußend, verdeutlichte. Die Verteidigung Marx’scher Positionen zum dialektischen und historischen Materialismus, die Auseinandersetzung mit dem »Stalinismus als System«, „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ als notwendiger und produktiver Kompromiss von SED und SPD waren nur einige der Themen, die Erich Hahn damals auf die Tagesordnung des Instituts setzte. Sträflicher Weise wird diese besondere und gravierende Etappe meistens außen vor gelassen, wenn über die Entwicklung der Philosophie und Ideologie in der SED und DDR gesprochen wird.
    Dass anfangs der illusionäre Gedanke der »Erneuerung« des Realsozialismus dabei eine große Rolle spielte, ähnlich wie auf dem Parteitag des Umbruchs von der SED zur PDS und im Aufruf einflussreicher Intellektueller der DDR, wird kein ernsthafter Historiker übersehen. Von Jean Jaures stammt der für solche Phasen historisch-kritischen Nach-Denkens wichtige Gedanke, dem auch Erich Hahn anhing: »Wir nehmen aus der Geschichte das Feuer, nicht die Asche.«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulrich H. (29. Juni 2025 um 19:45 Uhr)
    Die Meldung über den Tod von Erich Hahn hat mich berührt. 1978 gab der Zentralrat der FDJ im Dietz-Verlag das Buch »Marxistisch-leninistische Philosophie geschrieben für die Jugend« von Erich Hahn und Alfred Koswig heraus. Das Besondere an diesem Buch war, dass es eine verständliche, einfache, an den Wissensstand der Jugendlichen in der DDR zu dieser Zeit anknüpfende Einführung in die materialistische Philosophie darstellt. Deshalb hat allein dieses Buch einem riesigen Kreis von Jugendlichen geholfen, eine Orientierung in der Welt, eine Weltanschauung zu finden. Ich habe mich gefragt, ob heute dieses Buch für die Jugend empfehlenswert ist. Ich meine nicht. Viele Kategorien, zum Beispiel der Begriff Materialismus, haben heute in der Jugend eine andere Bedeutung. Die Beispiele aus den Naturwissenschaften sind veraltet und die praktischen Beispiele aus dem sozialistischen Leben der DDR sind durch Jugendliche nicht nachvollziehbar. Da würde ich eher das Buch von Robert Steigerwald »Marxistische Philosophie Einführung für die Jugend« von 1979 empfehlen. Aber auch hier sind nach dem Erscheinen 46 Jahre vergangen! Die Zeit ist reif für das Schreiben einer aktuellen Einführung in die wissenschaftliche Weltanschauung von Marx und Engels für die Jugend. Die Zeitung junge Welt sehe ich da als mögliche Organisatorin. Vielleicht auf der Basis der Bücher von Hahn und Steigerwald. Erich Hahn würde das bestimmt unterstützen, wenn er noch könnte …

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