Zu lange gefeiert
Bekommt ein Orang-Utan nachts nicht genug Erholung, schlummert er Beobachtungen zufolge ähnlich wie ein Mensch tagsüber noch mal. »Wenn ein Orang-Utan nicht genug Schlaf bekommt, tut er das, was jeder Mensch mit Schlafmangel tun würde: Er klettert ins Bett, legt sich hin und macht ein Nickerchen«, sagte Alison Ashbury vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB) in Radolfzell, Erstautorin der im Fachjournal »Current Biology« präsentierten Studie. »Sich durch die Baumkronen zu bewegen, Nahrung zu finden, Probleme zu lösen, soziale Beziehungen zu pflegen – all das sind anstrengende und kognitiv anspruchsvolle Aufgaben«, erklärte die Biologin. Üblicherweise schläft ein wildlebender Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii) dem Forschungsteam zufolge fast 13 Stunden pro Nacht. Weniger können es demnach unter anderem sein, wenn in der Nähe Artgenossen schlummern, die Nacht recht kalt ist oder tagsüber weite Wege zurückgelegt wurden. Es sei interessant, dass allein die Nähe zu anderen Orang-Utans mit kürzeren Schlafzeiten verbunden war, sagte Ashbury. »Stellen Sie sich vor, Sie bleiben lange auf, wenn Sie mit Ihren Freunden abhängen, oder Ihr Mitbewohner schnarcht morgens so laut, dass Sie früh aufstehen. Ich glaube, das ist ein bisschen so.« Auch ein Orang-Utan gebe dem geselligen Beisammensein womöglich den Vorrang vor dem Schlafen oder sein Schlaf werde durch den Artgenossen gestört – oder beides. Die Forschenden erfassten, wie lange sich die Tiere abhängig vom Nachtschlaf tagsüber in ein Schlafnest verkrümelten – und fanden einen eindeutigen Kompensationseffekt: Hatten sie in der Nacht kürzer geschlafen, fielen ihre Tagesnickerchen für jede Stunde weniger Nachtschlaf 5 bis 10 Minuten länger aus. An 41 Prozent der beobachteten Tage hielten Orang-Utans mindestens ein Nickerchen, die durchschnittliche Dauer betrug 76 Minuten. Darüber hinaus machten Orang-Utans an Tagen mit kürzeren Nickerchen mehr Nickerchen. »Bei Menschen kann selbst ein kurzes Nickerchen eine erhebliche erholsame Wirkung haben«, sagte Mitautorin Meg Crofoot, Direktorin am MPI-AB. »Es ist möglich, dass diese Nickerchen den Orang-Utans helfen, sich nach einer schlechten Nachtruhe physiologisch und kognitiv zu erholen, genau wie beim Menschen.« Das Studienergebnis erweitere das Verständnis der evolutionären Ursprünge und der letztendlichen Funktionen des Schlafs: »Warum haben sich Tiere – vom Menschen über Primaten und Spinnen bis hin zu Quallen – so entwickelt, dass sie einen so großen Teil ihres Lebens in diesem verletzlichen, unbewussten Zustand verbringen?« (dpa/jW)
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