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Aus: Ausgabe vom 26.06.2025, Seite 5 / Inland
Barauszahlung von Sozialleistungen

Postbank dreht den Geldhahn zu

Wohnungsloseninitiative warnt vor Einstellung der Bargeldauszahlung an Bedürftige
Von Ralf Wurzbacher
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Die Postbank-Filiale am Goetheplatz in Frankfurt am Main

Keine Bleibe, kein Bankkonto – kein Geld mehr? Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) warnt vor einer »tiefgreifenden sozialen Ausgrenzung« im Ergebnis der fortschreitenden Digitalisierung. Wie der Verband am Mittwoch mitteilte, plant die Postbank zum 1. Januar 2026 endgültig die sogenannte Zahlungsanweisung zur Verrechnung (ZzV) einzustellen. Ähnlich einem Papierscheck können sich damit von sozialer Unterstützung abhängige Personen ihre Leistungen in bar auszahlen lassen. Mit dem drohenden Wegfall der Option könnten demnächst Zehntausende Obdachlose in die totale Mittellosigkeit abrutschen.

»Es darf einfach nicht sein, dass der Staat untätig zusieht, wie wohnungslose Menschen noch mehr ins Abseits geraten, indem auch noch die letzten analogen Zugänge geschlossen werden«, monierte Annika Maretzki im Gespräch mit jW. »Wer Leistungen zur Existenzsicherung braucht, muss sie auch ohne Konto und digitale Hürden erhalten können«, erklärte die BAG-Referentin für »Frauen, Digitalisierung, digitale Teilhabe«. Konkrete Angaben zur Zahl der Leidtragenden konnte sie nicht machen. Aus ihrer Praxis weiß sie aber, dass rund 30 Prozent der Wohnungslosen kein eigenes Konto besitzen. Bei bundesweit über einer halben Million Menschen ohne festen Wohnsitz müsse »auf alle Fälle von einem ganz erheblichen Problem« ausgegangen werden.

Dem Schlussstrich unter die ZzV war ihre allmähliche Einstellung vorausgegangen: In den vergangenen Jahren hat die Postbank die Zahl der Filialen, die diese Möglichkeit bieten, von einst 3.000 auf nur noch 500 reduziert. Brauchbare Alternativen gibt es nicht, zumal auch andere Banken planen, ihr Scheckwesen einzustampfen. Ein nur unzulänglicher Ersatz ist das sogenannte Barcodeverfahren. Dabei können Bürgergeldempfänger mit einem Auszahlschein vom Jobcenter an der Supermarktkasse Geldmittel erhalten. Dies sei aber nur für Notfälle unter 1.000 Euro geeignet und scheitere oft am fehlenden Bargeldbestand in den teilnehmenden Geschäften, gibt die BAG zu bedenken. Außerdem trägt das Instrument zur weiteren Stigmatisierung bei, wenn Betroffene in aller Öffentlichkeit ihre soziale Bedürftigkeit zur Schau stellen müssen.

Der Fall ist beispielhaft für einen grassierenden Trend, alle erdenklichen Dienstleistungen zu digitalisieren und dabei die zu vergessen, die den Weg aus verschiedensten Gründen nicht mitgehen wollen oder können. Der Verein Digitalcourage fordert deshalb ein »Grundrecht auf analoge Teilhabe« und fordert dessen Verankerung im Grundgesetz. »Was für Banken ein Digitalisierungsschritt ist, bedeutet für viele Menschen in prekären Lebenslagen einen Rückschritt in der Existenzsicherung«, befand die BAG-Vorsitzende Susanne Hahmann, und weiter: »Ohne Konto – keine Leistung. Ohne Leistung – kein Überleben.« Nach Auskunft ihrer Kollegin Maretzki verweist die Bundesagentur für Arbeit auf Bemühungen, den Betroffenen zur Einrichtung eines »Basiskontos« zu verhelfen. Darauf besteht ein gesetzlicher Anspruch, dessen Einlösung jedoch einmal mehr durch »hohe Hürden« vereitelt werde. Dazu gehörten »häufig fehlende Ausweisdokumente« oder »ein Mangel an digitalen Endgeräten für das Videoident-Verfahren« zur Identitätsüberprüfung. Zudem erschwere der eingeschränkte Zugang zu günstigen Direkt- und Onlinebanken die Situation weiter, so Maretzki.

Von der Bundesregierung erwartet die BAG »schnelle politische Lösungen« im Sinne eines »rechtlich gesicherten Zugangs zu existenzsichernden Leistungen auch ohne Konto sowie die verbindliche Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ein Basiskonto für alle – unabhängig von Wohnsitz oder Bonität«. Darüber hinaus sei sicherzustellen, dass wohnungslose Menschen ihre Sozialleistungen an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort beziehen können.

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