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Aus: Ausgabe vom 18.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
G7-Gipfel in Kanada

Westen vertieft Spaltung

G7-Gipfel in Kanada: US-Präsident verlässt Treffen vorzeitig. Einigkeit nur bei Unterstützung Israels. Von Jörg Kronauer
Von Jörg Kronauer
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Weit angereist, um Uneinigkeit zu demonstrieren: Defilee der Spitzenpolitiker im Ferienpark Kananaskis (16.6.2025)

Wenn man den Erfolg eines Treffens daran misst, ob vorab erklärte Ziele erreicht wurden oder nicht, dann kann man dem G7-Gipfel in Kanada lediglich ein miserables Zeugnis ausstellen. Jedenfalls zu Beginn des zweiten Gipfeltags im Ferienpark Kananaskis in den Rocky Mountains. Das »wichtigste Ziel« werde sein, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz vorab erklärt, der Welt vorzuführen: »Die sieben größten Industrienationen der Welt sind sich einig, und sie sind handlungsfähig.« Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte das Ziel: »Das wichtigste ist, dass wir es schaffen, als G7 ein Signal der Einigkeit zu senden.« Jenseits der Berliner Regierungszirkel waren deutlichere Töne zu hören. Namentlich nicht genannte »Beobachter« wurden mit der Ansicht zitiert, der Gipfel sei eine »Nagelprobe für den Fortbestand der G7«. Der Sache nach darf man Zweifel haben, ob der Zusammenschluss seine »Nagelprobe« bestanden hat. Am Montag abend (Ortszeit) reiste US-Präsident Donald Trump mit großem Gehabe vorzeitig ab – bis dahin war von Einigkeit nicht viel zu sehen.

Übereinkommen konnten die Staats- und Regierungschefs der USA und Kanadas, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und Japans bloß über eines: eine Erklärung zu den »jüngsten Entwicklungen zwischen Israel und Iran«. Zu den »Entwicklungen« – andere sprechen von einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – hieß es in lediglich acht knappen Sätzen, man bekräftige, »dass Israel ein Recht hat, sich zu verteidigen«, und man wiederhole, dass man »die Sicherheit Israels« unterstütze. Man sei der Auffassung, »die Hauptquelle für regionale Instabilität und Terror« sei Iran, und man habe stets klargestellt, »dass Iran nie eine Nuklearwaffe besitzen darf«. Es folgte ein flüchtiger Hinweis, ein Waffenstillstand in Gaza sei vielleicht auch nicht schlecht, bevor im letzten, etwas längeren Satz ernste Sorge über die »internationalen Energiemärkte« ausgedrückt wurde. Der Ursprungsentwurf muss ein klein wenig mehr enthalten haben, denn Trump lehnte ihn ab. Er stimmte erst nach Streichung einiger inhaltlich nicht bekannter Phrasen zu.

Kanadas Premierminister Mark Carney, der das Treffen wegen der kanadischen G7-Präsidentschaft leitete, hatte angesichts der Zerstrittenheit der westlichen Staaten von vornherein darauf verzichtet, ein – an sich übliches – Abschlussdokument für den Gipfel vorzubereiten. Als Ersatz hatte er geplant, eine Reihe thematischer Erklärungen vorzulegen, auf die sich die sieben Staats- und Regierungschefs vielleicht doch noch einigen könnten, um irgendwie einen Rest Geschlossenheit zu simulieren. Eine davon betraf kritische Rohstoffe. Sie war im Kern gegen China gerichtet, was Carney zu der Annahme veranlasst haben mag, Trump werde ihr zufrieden zustimmen. Inhaltlich ging es darum, im Hinblick auf Chinas Marktdominanz vor allem bei wichtigen seltenen Erden eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, um künftig die Versorgung westlicher Unternehmen aus anderen Quellen sicherzustellen. Als Trump am Montag abend aus Kananaskis abreiste, hatte er seine Unterschrift nicht einmal unter dieses Papier gesetzt.

Den erwarteten Zoff gab es zum Ukraine-Krieg. Bei Trump kam es nicht gut an, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom schon 18. Sanktionspaket der EU schwärmte und ihn nötigen wollte, einer Senkung des Preisdeckels auf russisches Erdöl zuzustimmen. Die Sanktionen hätten die USA Milliarden gekostet, schimpfte der US-Präsident. Es sei ohnehin ein »großer Fehler« gewesen, Russland von den – damals noch – G8 auszuschließen. Barack Obama habe Wladimir Putin nicht mehr dabeihaben wollen, Kanadas damaliger Premierminister Justin Trudeau ebenfalls nicht – der allerdings zu dem Zeitpunkt noch gar nicht im Amt war. Wäre es nach ihm selbst gegangen, so Trump, wäre Russland noch Mitglied der G8, und es gäbe keinen Ukraine-Krieg. Dann hätte man »den Feind« wenigstens »am Tisch«. Allerdings sei er überhaupt nicht sicher, ob Russland »zu jener Zeit ein Feind gewesen« sei. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, den Carney als Gast geladen hatte, muss innerlich gekocht haben. Immerhin kündigte der britische Premierminister Keir Starmer an, sein Land werde am Dienstag neue Russland-Sanktionen bekanntgeben.

Apropos Gäste: Carney hatte neben Selenskij vier weitere Staats- und Regierungschefs von Nicht-G7-Ländern eingeladen. Diese sollten eigentlich als engere Kooperationspartner gewonnen oder gehalten werden, konnten sich nun aber vor allem ein klares Bild vom desolaten Zustand der transatlantischen Welt machen. Angereist waren Indiens Premierminister Narendra Modi, Südkoreas neuer Präsident Lee Jae Myung, Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum sowie Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, der sich diesmal aber immerhin keine abstrusen Vorwürfe anhören und keine Videos mit gefälschten Belegen für einen angeblichen »Völkermord« an Weißen in Südafrika ansehen musste wie erst vor kurzem im Weißen Haus. Wenn schon allein dies von einigen Korrespondenten positiv vermerkt wurde, spricht das Bände.

Nichts als Streit also im Westen? Nun – nicht ganz. Bundeskanzler Merz teilte vorab mit, er habe »sehr gute einführende Gespräche« mit den anwesenden »Europäern« geführt und könne nun also »davon ausgehen, dass Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland in den wesentlichen Fragen dieses G7-Gipfels eine weitgehend übereinstimmende Auffassung vertreten werden«. Im Verlauf des Montag wurde ein Foto verbreitet, das Merz, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Starmer und Carney rings um einen Tisch bei einem gemeinsamen Gläschen Wasser zeigt. Kurz darauf revanchierte sich Trump. Macron hatte gemutmaßt, er sei vorzeitig abgereist, um einen Waffenstillstand zwischen Israel und Iran anzubahnen – doch Trump dozierte auf Truth Social, das sei »falsch«. Was er tun werde, sei »viel größer als das«. Und er schloss: »Emmanuel versteht immer alles falsch.« Nicht, dass die »Europäer« übermütig werden, bloß weil sie es schaffen, gemeinsam Wasser zu trinken, ohne sich zu zerfleischen.

Hintergrund: Sonderfall ­Großbritannien

Ein wirklich konkretes Ergebnis brachte der G7-Gipfel in Kanada tatsächlich hervor. Es hatte allerdings nichts mit den G7 zu tun: US-Präsident Donald Trump und Großbritanniens Premierminister Keir Starmer unterzeichneten eine Vereinbarung über eine Senkung der Zölle, die Washington erst vor kurzem auf Importe aus dem Vereinigten Königreich verhängt hatte. Bis zu 100.000 Autos, überwiegend teure Luxuskarossen, und Flugzeugteile dürfen künftig zu ermäßigten oder gar ganz ohne Zölle in die Vereinigten Staaten geliefert werden. Die Beschränkung auf 100.000 ist für Rolls Royce, Bentley und Co. kein Problem: Es hat selbst in den USA ohnehin noch nie genug Multimillionäre gegeben, um eine mehr als fünfstellige Zahl ihrer Limousinen jährlich zu verscherbeln. Trump lobte den »großartigen« Starmer, ließ die Papiere mit dem Beschluss aber versehentlich auf den Boden fallen, säuselte, er sei sehr froh über die neue Vereinbarung »mit der EU«, und fügte hinzu, er habe das Abkommen mit den Briten unterzeichnet, »weil ich sie mag«.

Was hat Trump zum Abschluss der Vereinbarung bewogen? Eine Antwort kann man einem Papier entnehmen, das die ultrarechte Washingtoner Heritage Foundation im vergangenen Jahr unter dem Titel »Project 2025« vorgelegt hat und das zumindest in Teilen als Blaupause für die Politik der Trump-Regierung gilt. In dem Papier heißt es unter anderem, mit der EU werde man im Hinblick auf den bilateralen Handel ein Hühnchen zu rupfen haben, da er seit einiger Zeit für die USA nicht sehr günstig sei. Im Fall Großbritanniens verhalte es sich anders: Der »Handel mit dem Post-Brexit-Vereinigten-Königreich« sei »dringend« zu entwickeln – und zwar »bevor London in den Orbit der EU zurückrutscht«. Die Heritage Foundation hat die Entwicklung richtig gedeutet: Schon seit der Endphase der Tory-Regierungen, erst recht aber unter Starmer, ist London dabei, die Geschäftsinteressen EU-orientierter Konzerne wieder stärker zu bedienen. Ein enger Schulterschluss wäre nicht im Sinne Washingtons. (jk)

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