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Aus: Ausgabe vom 17.06.2025, Seite 4 / Inland
Israel und Iran und BRD auch noch

Aggressive Vorwärtsverteidigung

Staatsräson: Kanzler, Vize und Außenminister auf Seite Israels. Schuld sei allein der Iran, der sich schleunigst unterwerfen soll. Von Niki Uhlmann
Von Niki Uhlmann
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Denkt groß: Wadephul ficht auch im Oman für die deutsche Staaträson (Maskat, 15.6.2025)

Hunderte Tote, brennende Gasfelder, andauernder Bombenhagel und eine formidable diplomatische Krise im Nahen Osten, das sind die vorläufigen Resultate von Israels Angriff auf den Iran am Freitag. Während Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu freimütig einräumt, dass die Operation »Rising Lion« auf einen Regime-Change im Iran abzielt, fragt man sich in der BRD: »Wie viel Solidarität verlangt die Staatsräson?« – wie es das ZDF am Sonntag abend bei »Berlin direkt« formulierte.

»Israel hat das Recht, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen«, deutete Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) demnach den Angriff in eine Vorwärtsverteidigung um, bevor er zum G7-Gipfel jettete. Die Begründung fiel ihm leicht: Das iranische Atomprogramm sei »eine Bedrohung für Israel, den Nahen Osten und die internationale Gemeinschaft insgesamt«. Der Iran müsse »die Bombardierung ziviler Ziele in Israel sofort beenden«, forderte er selbigen zudem auf, sich den Beschuss seiner Zivilbevölkerung resignativ gefallen zu lassen. Generell dürfe die Region »nicht zum Kriegsschauplatz werden«, überging er geflissentlich, dass Israel seine Nachbarn seit Jahren militärisch malträtiert.

Lars Klingbeil (SPD), der zum Gespräch im Studio geladen war, hatte dagegen nichts einzuwenden. Eine Weigerung der BRD, Israel, wenn dessen Existenz gefährdet sei, »zu unterstützen, beispielsweise durch Waffenlieferungen«, könne er sich nicht vorstellen, stellte der Vizekanzler Tel Aviv weitere Aufmunitionierung in Aussicht. Dazu befragt, dass der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetović, Völkerrechtsbrüchen keinen Vorschub leisten wolle, musste Klingbeil eingestehen, dass er »heute noch nicht bewerten« könne, ob ein Völkerrechtsbruch vorläge. Mit Blick auf den Genozid in Gaza mahnte er, dass dort »die Verhältnismäßigkeit gewahrt« werden müsse. Israels Vorgehen dort halte er für »absolut kritisch«. Sanktioniert wird es aber vorerst nicht.

Mit großspurigen Forderungen legte Johann Wadephul (CDU), der auf diplomatischer Mission in der Region unterwegs ist, am Montag im Deutschlandfunk nach. »Jetzt« – nachdem Israel die vorangegangene, bereits erpresserische Diplomatie durch kriegerische Handlungen torpediert hat – müsse der Iran »ernsthaft mit uns verhandeln«. Er spüre ein »gemeinsames Verständnis«, dass die »endlose Fortsetzung dieser Auseinandersetzung niemandem hilft«, und sei darum erleichtert. Dass es aus Israel schallt, man sei bereit, den Iran zu bekriegen, bis die Kriegsziele erreicht würden, ist ihm indes genauso wenig entgangen wie die iranische Absage an weitere Verhandlungen, solange es beschossen wird. Nur sieht er die alleinige Verantwortung eben im Iran, der »immer wieder gewarnt worden« sei. Dass dessen Präsident, Massud Peseschkian, betont hat, dass man keine Atombombenproduktion anstrebe, nahm Wadephul jedoch nicht ernst und zitierte statt dessen Goethe: »Ja, die Worte höre ich wohl. Allein mir fehlt der Glaube bisher.«

Für Wirbel sorgten am Wochenende zudem Spekulationen über eine direkte militärische Beteiligung der Bundeswehr bei der laufenden Offensive Israels. Ein Tankflugzeug des Typs Airbus A400M hatte vorübergehend seinen Transponder eingeschaltet und war kurz darauf wieder von der Karte des Onlinedienstes »Flightradar 24« verschwunden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dementierte am Montag: Es habe »keine Betankung israelischer Kampfflugzeuge durch Flugzeuge der deutschen Luftwaffe stattgefunden«. Das Tankflugzeug sei in Jordanien im Rahmen der Operation »Inherent Resolve« gegen den IS stationiert.

Im Iran wird die deutsche Debatte offenbar mit Kopfschütteln wahrgenommen. Esmaeil Baqaei, Leiter und Sprecher des Zentrums für öffentliche Diplomatie im Außenministerium der Islamischen Republik, erinnert auf X daran, dass Deutschland »zwei Weltkriege gestartet« habe. Der Iran hingegen habe flüchtenden Juden, Polen und Franzosen Asyl gewährt, sogar Pässe ausgestellt. »Diejenigen, die schon immer auf der falschen Seite der Geschichte standen, sollten jetzt besser schweigen.«

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