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Aus: Ausgabe vom 17.06.2025, Seite 5 / Inland
Armut in Deutschland

Wer wenig hat, soll leise leiden

Umfrage: Deutsche treten bei Kleidung und Essen kürzer. Geldsorgen weit verbreitet. Armutsforscher sieht »Mitte der Gesellschaft« betroffen
Von Max Grigutsch
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Im Supermarkt nur das Nötigste kaufen: Alltag für viele Menschen in Deutschland (Leipzig, 9.6.2022)

Aktuelle und vergangene Krisen machen den Menschen in Deutschland ökonomisch schwer zu schaffen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Kantar im Auftrag des Onlineportals Idealo hervor, wie dpa am Montag berichtete. Demnach machen sich rund zwei Drittel Sorgen, dass ihr Geld nicht ausreicht – ein ähnliches Ergebnis wie im Vorjahr –, während 42 Prozent angaben, im vergangenen Jahr auf Rücklagen zurückgegriffen zu haben. Jeder Sechste sieht sich zum finanziell Kürzertreten indessen gar nicht in der Lage. Für die Studie wurden im Mai rund 2.000 Personen zwischen 18 und 64 Jahren befragt. »Die sich häufenden und zuspitzenden Krisenerscheinungen setzen immer mehr Menschen hierzulande im Alltag unter enormen Druck«, sagte Armutsforscher Christoph Butterwegge am Montag gegenüber junge Welt.

Konnte Idealo seine Untersuchungsergebnisse von 2018 noch mit dem Satz übertiteln, die Deutschen würden »aus Prinzip und mit Spaß« sparen, dürfte das aktuelle Sparverhalten eher der Kriegstreiberei, welche die Gelder in die Aufrüstung treibt, sowie der schlechten Wirtschaftslage und ihrer Auswirkungen auf die Werktätigen und Armen geschuldet sein. Hinzu kommen die Teuerungen der Vergangenheit: Im Jahr 2023 betrug die Jahresinflationsrate 5,9 Prozent; 2022 stiegen die Preise sogar um 6,9 Prozent. Damals waren Energie und Lebensmittel überdurchschnittlich betroffen, was besonders für jene ein Schlag ins Kontor war, die ohnehin wenig hatten. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte, habe sich die Inflation zwar inzwischen stabilisiert – bei 2,1 Prozent je im Mai und April, 2,2 im März, 2,3 im Februar –, allerdings verteuerten sich Nahrungsmittel mit einer Rate von 2,8 Prozent im vergangenen Monat überdurchschnittlich. Betroffen sind etwa Schokolade, Butter, Marmeladen, Speisefette, Molkereiprodukte und Eier.

Kein Wunder also, dass die Idealo-Studie eine erzwungene Sparsamkeit junger Leute zwischen 18 und 30 Jahren beim Einkauf von Lebensmitteln verzeichnet. Am häufigsten sparten die Befragten aber bei Bekleidung, so besonders Personen über 60. »Weil die Armut bis zur Mitte der Gesellschaft vordringt, reagieren die davon Betroffenen und Bedrohten zwangsläufig mit Einschränkungen in unterschiedlichen Lebensbereichen«, gab Butterwegge zu bedenken. »Manche legen weniger Wert auf ihr Äußeres, andere womöglich auf ihre Gesundheit. Deshalb nimmt auch die Ernährungsarmut zu«, sagte er.

Gegen Armut hilft ein guter Lohn. Bis Ende Juni entscheidet eine vermeintlich unabhängige Kommission über eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ab Anfang 2026. Aber der einen Armut ist der anderen Reichtum. Das wissen auch die Magnaten der Logistiklobby. Diese meldeten sich am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme verschiedener Branchenverbände zu Wort, um sich gegen einen »sprunghaften Anstieg« des Mindestlohns auszusprechen. Der Mindestlohn dürfe den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht gefährden, heißt es in dem Papier. Ebenfalls am Montag verlangte die Bundesvereinigung Bauwirtschaft, keine »überfordernde« Erhöhung des Mindestlohns zu beschließen. Erst vergangene Woche hatte auch der Handelsverband Deutschland eine »Aussetzung weiterer Mindestlohnanhebungen« gefordert und vor einem »rein politisch motivierten Eingriff« in die Tarifautonomie gewarnt.

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