Polt
Von Jürgen Roth
Wer Oberpfalz sagt, muss auch Niederbayern sagen. Deshalb holte mich die Frankfurter Abordnung, bestehend aus der schönen Frau, dem Maier, der Janderschen und dem Gottwalts, in N. ab, und wir schrammelten nach Pfarrkirchen.
Im Festzelt, das die Freiwillige Feuerwehr auf eine Wiese gerammelt hatte, saßen an Biertischen tausendfünfhundert Leute. Hinterher machten wir im Backstagebereich ein Klassenfoto mit den Well-Buam und dem Gerhard. Das Bild ist technisch ein Mist, aber es ist ein Dokument, das man sich in zwanzig Jahren mit wohligen Gefühlen anschauen wird.
Der Stofferl, der Michi und der Karli, sie waren unfehlbar wie stets gewesen. Polt, sehr schmal geworden, hatte tranquile, fragile Monologenormitäten dargeboten, in denen er von ehemaligen Fleischfliegen und von akuten Garagenproblemen angesichts einer Moderne berichtet hatte, die alles, was einst als Garantie eines auskömmlichen Lebens galt, auslöscht.
Seine Kunst, sagte die schöne Frau, verstünden immer weniger Menschen. Das sei eine sich verkriechende Kulturform.
Maier mailte mir zwei Tage danach: »Polt beim Leberkas’, unvergeßlich.«
Wir hatten Polt, der um Mitternacht Geburtstag feierte, einen Schnaps aus den fünfziger Jahren geschenkt. Das Etikett hatte die Ida gestaltet: »Net vui – Polt: Premium«. Als Ersatz (im Falle des Missfallens) führten wir drei dito von Idas Vater Udo spendierte Austauschbouteillen mit: Fahner 20 XX Gin, Fahner Rubinette (Apfelbrand) und Fahner Jonagold (ebenfalls ein Apfelbrand). Diese Edelspirituosen befeuern das Leben. Ich weiß es, ich hab’ sie mir unter den Nagel gerissen und hernach geflissentlich niedergerungen.
Irgendwann verspürte die schöne Frau einen Appetit. Der Michi klaubte den Rest des Leberkäses von Polts Teller, schobbte ihn in eine Semmel und reichte sie der schönen Frau.
Sie biss hinein und war froh.
Am nächsten Tag setzten wir, nachdem uns die nette Fachbierbringungskraft im Parkhotel einige morgendliche Stärkungsgetränke gereicht hatte, den Maier und den Gottwalts am Hauptbahnhof Regensburg ab. »Im Nachgang« (Arschdeutsch) erzählte beziehungsweise schrieb mir der Maier: »Die Deutsche Bahn gestern – grandios. Im ganzen Bahnhof der 150.000-Menschen-Stadt gab es nur eine einzige Möglichkeit, ein ICE-Ticket zu kaufen. Nicht unten in der Halle, nicht an einem (nicht vorhandenen) Automaten, sondern in einem kleinen Raum im Obergeschoss, wo eine einzige slawische Dame hinter einem nicht als DB-Schalter ausgewiesenen Schalter saß, auf den überdies nichts hinwies außer einem winzigen Symbol im Untergeschoss. Quasi unauffindbar.
Irgendein Hansel schreibt heute, Amerika unter Trump verwandele sich langsam in den Film ›Brazil‹. Aha. ›Brazil‹ habe ich gestern erlebt: im Regensburger Hauptbahnhof!«
Besser ließe sich Luthers Zwei-Reiche-Lehre nicht illustrieren: hie Polt, da die germanische Bahn, die schon vor Jahren die prunkvollste Bahnhofsgaststätte des Landes (in Regensburg), in der auf Grund der ringsum ausgehändigten Leberkäs’- und -knödelsuppenteller Hundertschaften von Fleischfliegen beheimatet waren, hat zertrümmern lassen.
Ich kauf’ mir »aan Audi« (Polt).
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