Was hätte Carls Barks gesagt?
Von Marc HieronimusIn der schnellebigen Vorkriegszeit (und sicher mehr noch in der schnellsterbigen Kriegszeit) gewöhnt man sich an vieles, das man zuvor noch für unmöglich gehalten hatte. Jetzt haben sie also das Entenhausener mit dem Marvel-Universum gekreuzt und daraus die Titelgeschichte eines vermeintlich lustigen Taschenbuchs gemacht (LTB 598). Die Titelseite macht den Leser aufs Schlimmste gefasst: »What if …? Donald Duck became Wolverine« steht da. Englischer Konjunktiv II der Gegenwart, da dürften die meisten Grundschulkinder raus sein. Oder besonders interessiert, weil es so herr(schaft)lich amerikanisch scheint.
Tatsächlich kommen die Abenteuer komplett aus Italien. Der gerade 90 gewordene Erpel zeigt auf dem Cover seine Klingen aus Adamantium, ein finster herausforderndes Grinsen und Zähne, die er in der guten alten Zeit nicht hatte, aber die ist ja vorbei. Weil auch der (morbide) Lesespaß nach 25 Seiten vorbei ist, blättert man natürlich weiter und staunt, wie wenig anspruchsvoll die restlichen Zeichnungen und Geschichten sind. Einige Zeichner scheinen überhaupt nur drei bis vier Entengesichtsausdrücke zu beherrschen, obwohl sie sich bei Carl Barks mindestens drei Dutzend abschauen könnten.
Auch das Trimmen auf zeitgemäß tut den Comics nicht gut, vielleicht generell nicht. Im 40. Asterix-Band bringt der Titelheld, die weiße Iris, den Galliern Sanftmut und Achtsamkeit bei. In Paris trinkt man »Amphörchen« mit der queer angehauchten Community und bewegt sich auf Rollern fort. Das ist leidlich humorvoll, wird aber anders als die Klassiker schnell altern. In der echten französischen Hauptstadt sind die Roller schon wieder verboten.
Wie die »Lustigen Taschenbücher« entsteht auch der Longseller »Dylan Dog« in Italien. Er wurde sogar schon zweimal in Topolino, also Mickymaus, adaptiert (Nr. 2.076 und 3.094). Nach dem Rückzug seines Erfinders Tiziano Sclavi hat der Verlag versucht, Dylan Dogs von allerlei Jenseitswesen bevölkertes London aus den 1980ern in die Jetztzeit zu versetzen, aber letztlich fast alle Neuerungen rückgängig gemacht. Nur widerwillig schaut der Alptraumermittler bei seinen Recherchen ins Internet oder gar auf sein Smartphone.
Handys haben die Ducks auch, aber lange nicht mehr den Witz, die Vielfalt, die Exotik der großen Abenteuer des Meisters. Vielleicht darum die Idee, es mit einer Reihe von Crossovern zu versuchen. Insgesamt sieben Marvelmischungen werden für dieses Jahr angedroht, darunter mit Iron Man und Spider-Man. Die Titelgeschichte im gerade erschienen ersten Versuch sticht graphisch zweifellos hervor. Wo z. B. im herkömmlichen Comic flächig koloriert wird, gibt es hier Farbverläufe und getuschte Schattierungen. Aber auch die beste Zeichnung macht keinen Mangel an Geschichte wett.
Die geht wie folgt: Entenhausen wird von (Kater) Karlo-Skull beherrscht. Donald-Wolverine könnte das ändern, liegt aber nur faul in der Hängematte auf dem Gnaden-, vormals Bauernhof der mit ihren langen Wimpern verstörend aufreizenden Milf/Gilf Oma Duck, bis endlich Micky-Hawkeye und Goofy-Hulk kommen und ihn mit zum besetzten Geldspeicher nehmen. Da lassen sie sich von gangsterrapgekleideten Panzerknackern gefangennehmen und in besagten Kohlenbunker bringen – eine raffinierte Finte, wie sich nur allzu bald herausstellt! Erst sprengt nämlich Goofy-Hulk seine und Micky-Hawkeyes Ketten, der verschießt dann einen Pfeil mit grüner Farbe, und die wiederum macht Donald-Wolverine so teufelswild, dass die Bösen davon laufen und anschließend von der Polizei verhaftet werden.
Am Ende ist »alles wie immer«, darum ist auch Dagobert wieder da, und Donald muss dessen Münzen polieren und die angerichteten Schäden wiedergutmachen. Schade. Die Oma hätte man gerne noch mal wiedergesehen. Oder erfahren, wo die Polizei war, bevor Donald ausgeflippt ist. Irgendwie haben Micky, Goofy und Donald auch schon mal zusammengearbeitet, man erfährt nichts Genaues. Aber gut. Vielleicht ist die Leserin heute ganz froh, so einen Quatsch vorgesetzt zu bekommen. Storytelling gibt es genug in Politik und »seriösen« Medien.
Marvel & Disney: Lustiges Taschenbuch Nr. 598 – What if ...? Donald Duck became Wolverine. Egmont Ehapa Media, Berlin 2025, 254 Seiten, 8,99 Euro
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Einigung nach 99 Jahren
vom 14.06.2025 -
In die falsche Richtung
vom 14.06.2025 -
Betrachtungen eines Unpolitischen
vom 14.06.2025 -
Polt
vom 14.06.2025 -
Nachschlag: Ursache und Wirkung
vom 14.06.2025 -
Vorschlag
vom 14.06.2025 -
Veranstaltungen
vom 14.06.2025