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Aus: Ausgabe vom 13.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
AES-Staaten

Sahel unter Feuer

Dschihadisten bringen die zu einer Allianz vereinigten Länder Burkina Faso, Mali und Niger in Bedrängnis
Von Jörg Kronauer
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Überforderte Armee: In Niger konnten Dschihadisten 2023 bis ins Zentrum der Hauptstadt Niamey vordringen (21.8.2023)

Die Anschläge nehmen zu im Sahel, und die Dschihadisten befinden sich im Vormarsch – in einer Offensive, die alle drei Staaten der Sahelallianz (Alliance des États du Sahel, AES) im Visier hat und seit Wochen immer bedrohlichere Züge annimmt. In Mali wurden allein seit dem 1. Juni bei Angriffen auf Stützpunkte der Armee Soldaten in wohl höherer zweistelliger, womöglich gar dreistelliger Zahl getötet. In Niger kamen im Westen des Landes, im Grenzgebiet zu Mali und Burkina Faso, bei Anschlägen Ende April und Ende Mai mindestens 70 Militärs zu Tode. In Burkina Faso wiederum sollen am 11. Mai bei einem Angriff auf die Stadt Djibo im Norden des Landes mehr als hundert Soldaten, Zivilisten und Mitglieder von sogenannten Bürgerwehren umgebracht worden sein. Die Täter gehörten jeweils – in Mali und Burkina Faso – dem Al-Qaida-Ableger JNIM (Gruppe zur Unterstützung des Islams und der Muslime, französisches Kürzel: GSIM) sowie – in Niger – dem »Islamischen Staat« (État islamique au Grand Sahara, EIGS) an. Die Dschihadisten weiten ihre Aktivitäten aus – und sie scheinen dabei einer klaren Strategie zu folgen.

Die Expansion der Dschihadisten zielt aktuell unter anderem auf Malis Westen. Im Norden des Landes, in den Weiten der Sahara und den angrenzenden Gebieten, sind sie seit vielen Jahren aktiv. Auch nach Malis Zentrum strecken sie ihre Fühler seit mehreren Jahren aus. Dies begann während der Zeit, in der noch europäische Streitkräfte, darunter die Bundeswehr, zum Kampf gegen die Dschihadisten im Sahel im Einsatz waren. Inzwischen versucht die JNIM sich auch noch in der Region um die westmalische Stadt Kayes festzusetzen. Dort habe sich die Zahl ihrer Anschläge in den drei Jahren von 2021 bis 2024 »auf das Siebenfache erhöht«: So heißt es in einer Untersuchung, die die Denkfabrik Timbuktu Institute aus Senegals Hauptstadt Dakar bereits im April vorgelegt hat. Die Terrorattacken in der Region sind dabei kein Selbstzweck. Die JNIM habe vor, sich von Kayes aus zum einen in das nördlich angrenzende Mauretanien, zum anderen in den westlich angrenzenden Senegal auszudehnen, vermutet Bakary Sambe, Leiter des Timbuktu Institute. Mittlerweile gehen die Streitkräfte Malis und des Senegal gemeinsam gegen sie vor.

Darüber hinaus ist die JNIM – und das keineswegs nur in Malis Westen – in wachsendem Maße bestrebt, sich bestehende Spannungen innerhalb der Bevölkerung zunutze zu machen. Dabei zielt sie auf die Sprachgruppe der Fulbe, deren Angehörige in zahlreichen Ländern Westafrikas leben und immer wieder über Diskriminierung klagen. Seit Jahren rekrutiert die JNIM fleißig unter ausgegrenzten Fulbe, was letztere wiederum dem Verdacht aussetzt, den Dschihadisten besonders gewogen zu sein. Das führt zu einem Teufelskreis: Bei Operationen der Streitkräfte gegen Dschihadisten geraten regelmäßig Fulbe-Zivilisten ins Kreuzfeuer – und den Militärs wird vorgeworfen, Massaker an ihnen zu begehen. Im März hätten Dschihadisten im Sahel angekündigt, »ihre Angriffe auf die nationalen Armeen zu beschleunigen, um einen Genozid an der Fulbe-Community zu verhindern«, berichtete vergangene Woche der Leiter des Institut de recherche stratégique an der Académie internationale de lutte contre le terrorisme in Jacqueville (Côte d’Ivoire), Lassina Diarra, der Pariser Abendzeitung Le Monde.

Beobachter und Experten sind zunehmend überzeugt, dass die Dschihadisten auch militärisch einer klaren Strategie folgen – dem Plan, sich in ländlichen Regionen festzusetzen, dann die Zufahrtsstraßen zu den Städten ins Visier zu nehmen und zumindest einzelne Städte zu umzingeln. Mit »Blockaden, ausgedehnten Vorstößen, koordinierten Überfällen«, zugleich im Bündnis »mit lokalen Gruppierungen« und unter Nutzung »immer ausgefeilterer Waffen« – vor allem Drohnen –, brächten sie sich systematisch in Stellung: So analysierte Ende Mai die in Paris herausgegebene Wochenzeitschrift Jeune Afrique das Geschehen. Noch sei es nicht soweit, dass die Dschihadisten etwa in Mali ganze Territorien komplett beherrschten. Grundsätzlich könnten sich die Streitkräfte bei entsprechender Bewaffnung und Umsicht noch in allen Teilen des Landes bewegen, zitierte die Zeitschrift einen Militärspezialisten. Allerdings seien die Dschihadisten in ländlichen Regionen recht stark präsent und könnten ihre Operationen intensivieren.

Zuweilen gelingen ihnen dabei inzwischen spektakuläre Vorstöße. Am 11. Mai etwa fielen sie, wie erwähnt, in die nordburkinische Stadt Djibo ein, eroberten einen Militärstützpunkt sowie weitere staatliche Einrichtungen – und zogen sich nach ihrer Machtdemonstration, bevor Verstärkung für die Streitkräfte eintraf, rechtzeitig zurück. Ähnlich gingen sie am 2. Juni im nordmalischen Timbuktu vor, wo sie gleichfalls eine Militärbasis einnahmen, bevor sie die Stadt wieder verließen. Womöglich seien sie mittlerweile sogar in der Lage, »eine Hauptstadt einzunehmen«, sagte Lassina Diarra laut dem genannten Bericht in Le Monde. Bezweifeln könne man allerdings, ob sie »über die Mittel und die Erfahrung« verfügten, sie auch »zu verwalten«. Festhalten kann man auch, dass die Dschihadisten weder in Djibo noch in Timbuktu stark genug waren, sich gegen die regulären Streitkräfte zu behaupten. Diese starten inzwischen Berichten zufolge eine breitere Gegenoffensive.

Hintergrund: Bodenschätze

Trotz des Drucks, unter dem sie aufgrund der aktuellen Offensive der Dschihadisten stehen, sind die drei Staaten der Sahelallianz (AES), Mali, Burkina Faso und Niger, weiterhin bemüht, ihre Kontrolle über ihre Bodenschätze zu stärken. In Mali dauert etwa der Streit zwischen der Regierung und dem kanadischen Bergbaukonzern Barrick Mining (bis vor kurzem: Barrick Gold) an. Barrick hatte sich geweigert, Malis neuen, 2023 eingeführten Bergbaukodex anzuerkennen, der etwa höhere Steuern und einen größeren Staatsanteil an Bergbauprojekten vorsieht. Im Mittelpunkt des Streites steht die Goldmine Loulo-Gounkoto, eine der größten der Welt. Die Regierung ließ Ende vergangenen Jahres drei Tonnen Gold beschlagnahmen und will die Mine nun unter staatliche Verwaltung stellen, wogegen Barrick sich vor Gericht zu wehren versucht. Das zuständige Gericht hatte das erwartete Urteil vor kurzem zum wiederholten Male verschoben. Der nächste Termin war für diesen Donnerstag angekündigt worden.

In Niger wiederum bereitet sich der französische Konzern Orano darauf vor, das Land zu verlassen. Mehr als fünf Jahrzehnte lang hatte er die Uranvorkommen in Frankreichs früherer Kolonie ausgebeutet und damit nicht nur viel Geld verdient, sondern zeitweise auch große Teile des Uranbedarfs französischer Atomkraftwerke gedeckt. Orano war schon recht bald nach dem Putsch im Juli 2023 mit den in Niamey regierenden Militärs in Streit geraten. Nach heftigen Auseinandersetzungen hatte Nigers Regierung im Dezember vergangenen Jahres die operative Kontrolle über die Aktivitäten von Orano in ihrem Land übernommen. Nun steht, wie die Financial Times kürzlich berichtete, wohl der Verkauf der Orano-Aktivitäten in Niger bevor. Interesse haben demnach Konzerne aus Großbritannien und Italien, aber auch aus Russland und China angemeldet. Niamey hofft auf satte Gewinne dank der jüngsten globalen Atomkraftrenaissance. (jk)

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