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Aus: Ausgabe vom 12.06.2025, Seite 10 / Feuilleton
Deutsche Kommunisten

Traum und Wirklichkeit

Vor 50 Jahren starb Alfred Kurella
Von Ronald Weber
Bundesarchiv_Bild_183-63679-0013,_Bitterfeld,_Autorenkonferenz,_
Alfred Kurella referiert im Kulturpalast des EKB Bitterfeld (24.4.1959)

Bertolt Brecht nannte ihn Mitte der 1930er Jahre »unseren ältesten Linienbold«. Das war noch vor der großen Expressionismusdebatte, die mit seinem Aufsatz »Nun ist dieses Erbe zu Ende …« und der provozierenden These, der Expressionismus habe in den Faschismus geführt, begonnen hatte. Offenbar hatte er sich früh den Ruf erworben, ein Kommunist der dogmatischen Sorte zu sein. So sahen ihn später auch viele DDR-Künstler, die ihm nach der Rückkehr aus dem sowjetischen Exil den Schimpfnamen »Kulturella« verpassten. Das war in den späten 1950er Jahren, als er zunächst das Direktorat des frisch begründeten Leipziger Instituts für Literatur und anschließend die Leitung der »Kommission für Fragen der Kultur beim Politbüro der SED« übernahm.

Dass aus dem 1895 in einer bürgerlichen Familie aufgewachsenen Wandervogel und Maler Alfred Kurella ein Kommunist wurde, war nicht selbstverständlich – und doch folgerichtig. Der Krieg wirkte als Erzieher im Sinne einer revolutionären Pädagogik: 1917 Desertion, 1918 Revolution in München, Eintritt in die KPD, im Frühjahr 1919 Flucht nach Moskau, Zusammentreffen mit Lenin und Aufnahme in den russischen kommunistischen Jugendverband. Seitdem war der polyglotte Kader für die Kommunistische Jugendinternationale (KJI) tätig, erfüllte Aufträge in Berlin, Paris und Moskau. Schließlich, nach der Rückkehr des »Helden von Leipzig« aus faschistischer Haft, wurde Kurella 1934 Georgi Dimitroffs Sekretär. Höher ging es nicht hinaus. Dann kam schon der Fall. Drei Tage bevor Sergej Kirow in Leningrad ermordet wurde, hatte es in Moskau ein Treffen einiger Veteranen der KJI in einer Privatwohnung gegeben. Weil nach dem Mord, mit dem anhob, was heute gemeinhin als Großer Terror bezeichnet wird, alles verdächtig schien, war auch dieses Treffen verdächtig. Kurella erhielt eine strenge Rüge, behielt – im Gegensatz zu anderen – aber seinen Kopf. Zunächst als Abteilungsleiter für Auslandsliteratur der Moskauer Unionsbibliothek tätig, finden wir ihn ab 1941 als Mitarbeiter der 7. Abteilung der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee, betraut mit Gegenpropaganda und der Arbeit mit deutschen Kriegsgefangenen.

Als die Naziwehrmacht im Oktober 1941 auf Moskau drängte, wurde die Stadt evakuiert, Kurella und dessen Frau, die Kinder- und Frauenärztin Elfriede Cohn-Vossen, wurden getrennt. Der aus dieser Zeit erhaltene umfassende Briefwechsel (1984 bei Aufbau erschienen) zählt zu den interessantesten Dokumenten des deutschen Exils. Er ist aber nicht nur in kultureller und politischer Hinsicht aufschlussreich, sondern auch das Zeugnis einer unstillbaren Sehnsucht: nach einem Ort im Kaukasus, der heute in der Autonomen Republik Abchasien liegt, dem Dorf Pschu. Kurella und Cohn-Vossen hatten das malerische Bergdorf bei ihren Wanderungen im Kaukasus entdeckt. In der entbehrungsreichen Zeit des Krieges hielt sie der Traum aufrecht, dorthin überzusiedeln und den »Ruhm der Wiederaufbauung des Vaterlandes« anderen zu überlassen. Tatsächlich wurde dieser Traum wahr. Das Ehepaar lebte von 1946 bis 1949 in Pschu. Erst dann bereitete sich Kurella auf die Rückkehr nach Deutschland vor.

Es ist vor langer Zeit in Mode gekommen, parteitreue Kommunisten für Idioten zu halten und lediglich den Abweichlern das historische Plazet zu geben. Alfred Kurella aber war kein Idiot, wie schon zu dessen Lebzeiten so sehr unterschiedlichen Leuten wie Adolf Endler und Peter Hacks aufgefallen war. Man darf daher gern im Januar, wenn sich die kleine Schar der deutschen Kommunisten zu ihrer Gedenkstätte nach Friedrichsfelde begibt, auch bei Alfred Kurellas Grab an der Ringmauer eine Nelke ablegen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlef G. aus Hamburg (12. Juni 2025 um 01:05 Uhr)
    »… behielt – im Gegensatz zu anderen – aber seinen Kopf.« Ein doch etwas flapsige Satz. Vielleicht wäre ein Hinweis auf Kurellas – soll ich jetzt mit einem heimlichen Lächeln schreiben: kopflosen? – Bruder Heinrich angemessen gewesen. Der wurde am 21. Oktober 1937 in Moskau zum Tode verurteilt und kurz darauf hingerichtet. Wird das nur gemeinhin als Terror bezeichnet oder war es das vielleicht auch? Was würde Alfred Kurella seinem Bruder sagen? Sein Neffe Christian Geissler greift das »Schicksal« seiner Onkel (seine Mutter war Marie Kurella) in seinen Romanen »Anfrage« (1960, Neuausgabe 2023, S. 78 f.) und auch »kamalatta« (1988, Neuausgabe 2018, S. 458) auf. Die Figur des Überlebenden wählt in beiden Romanen dasselbe Bild. Sie zieht den Vergleich zu einer Krebsoperation. In »kamalatta« erzählt die Kommunistin Susette von einer Begegnung mit dem Überlebenden: Der hatte ihr »lächelnd [gesagt], ganz einfach, das sei wie beim krebs, beim krankwegschneiden, da muss immer auch viel gesundes mit.« Susette ist nicht von der Härte geschockt, »es war das lächeln«. Der Schrecken über eine zynische Einsicht in eine behauptete Notwendigkeit (Heinrich Kurella wurde, wie viele andere, 1956 rehabilitiert) ist das Mindeste, was wir den Opfern schuldig sind. An anderer Stelle denkt Geissler 1990 über das »monströse lügen und nackenschießen in moskau 1937« und über die Übersetzung des berühmten Satzes von Goya nach. Geissler: »so kann [...] 'der schlaf der vernunft weckt ungeheuer' auch heißen: der traum von der vernunft weckt ungeheuer. aus der französischen revolution und den ersten spanischen guerrilla-kämpfen gegen napoleons besatzungstruppen hatte goya anlass für genau beide gedankengänge. und wir, hier heute, aus unserer neuesten Geschichte, auch.« (»peter weiss wäre nicht erstaunt«, Jahresgabe der Christian-Geissler-Gesellschaft, 2016, S. 30).

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