Die Vernichtungspläne

Mehr als drei Millionen Mann und 4.000 Panzer wälzten sich am 22. Juni in drei todbringenden Heeressäulen in das auf Krieg, Tod und Verwüstung zu diesem Zeitpunkt unvorbereitete Land. 2.500 deutsche Flugzeuge zerstörten in wenigen Stunden Tausende sowjetische Maschinen, die noch regungslos, vielfach ungetarnt auf ihren Plätzen standen. Die folgenden fünf Monate waren eine Katastrophe für das Sowjetvolk. Die deutsche Wehrmacht gelangte bis vor Leningrad, vor Moskau, an die Dnepr- und an die Donmündung, nach Kiew und Charkow. Weiter kam sie nicht. Die sowjetische Gegenoffensive von Dezember 1941 bis März 1942 verschaffte dem faschistischen Gegner einen Vorgeschmack auf sein späteres Scheitern.
Der furchtbare Schlag, die riesigen Verluste an Soldaten und Zivilisten in den ersten Monaten trafen das Land um so härter, als die Moskauer Führung trotz zuverlässiger Warnungen von innen und außen bis zum letzten Tag auf dem fatalen Fehler beharrt hatte, ihre Truppen im Westen davon abzuhalten, eine wirksame Verteidigung vorzubereiten. So konnte das Land keine vermehrte Sicherheit aus dem Umstand gewinnen, dass es seine Westgrenze seit 1939 in ihrer ganzen Ausdehnung vom Donaudelta bis Petsamo (Petschenga) überall erheblich hatte vorschieben können.
Der Krieg im Osten war kein gewöhnlicher imperialistischer Krieg. »Wehrmacht zerschlagen. Staat auflösen« – diese Zielstellung Hitlers betraf das damals größte Land der Erde, den einzigen Staat sozialistischer Ordnung, mehr als dreißigmal so groß wie Deutschland und die damals stärkste Militärmacht, entsprechend einer Bevölkerung von fast 200 Millionen Menschen. Die faschistische Clique und ihre militärische Führung gingen in ihrem Vernichtungsstreben weit über alles hinaus, was man seit der kolonialen und vorkolonialen Epoche und den Wunschvorstellungen aus dem Ersten Weltkrieg für möglich gehalten hatte; freilich waren bereits im eroberten Polen derartige menschenfeindliche Pläne ins Werk gesetzt worden.
In den Grundzügen existierten solche Pläne schon am 22. Juni 1941. Sie wurden 1942/43 in den eroberten Gebieten unter maßgeblicher Mitwirkung der Himmlerschen Ämter, des Reichsernährungsministeriums (geleitet von Herbert Backe), der Kontinentale Öl AG, der diversen anderen NS-»Ostgesellschaften« und zentraler industrieller Interessengruppen (IG Farben, Montankonzerne, Siemens, AEG, Zeiss und anderer) im Stile von »eigennützigen Hyänen des Schlachtfeldes« (Ludwig Graf Schwerin von Krosigk) in Angriff genommen.
Der Rassismus in seiner brutalsten und umfassendsten Form diente als »Begründung« für die Ermordung und Aushungerung von Millionen und für die Vertreibung (»Aussiedlung«) von Dutzenden Millionen Slawen und Juden, schließlich auch für die Ausbeutung von Millionen verschleppter Männer und Frauen als Arbeitssklaven in Deutschland und innerhalb der Wehrmacht.
Die hauptsächlichen Aktionsfelder dieser grausigen Politik, die selten zusammenhängend untersucht wurden, waren:
– die ausnahmslose Ausrottung der jüdischen Bevölkerung,
– die Vernichtung sämtlicher Führungskräfte des Sowjetstaates, (…)
– auf besonderen Befehl Hitlers die Ermordung der gesamten männlichen Einwohnerschaft der größten Städte, besonders Stalingrads; die Aushungerung Leningrads,
– die auf Ausrottung zielende Hungerstrategie gegen »zig Millionen Menschen« (Backe) in den auf Nahrungsmittelzufuhr angewiesenen russischen und belarussischen Gebieten,
– die Ermordung vieler Hunderttausender sowjetischer Kriegsgefangener durch bewusst eingesetzten Hunger und durch Erschießen in den Gefangenenlagern, später auch in Konzentrationslagern,
– die Zwangsrekrutierung von mehr als zwei Millionen sowjetischer Menschen (Zivilarbeiter und Kriegsgefangene) für die deutsche Kriegswirtschaft,
– der »Generalplan Ost«.
Der »Generalplan Ost« und seine späteren Fassungen als »Gesamtplan« und »Generalsiedlungsplan« waren weitreichende Planungen, entworfen für die spätere »Eindeutschung« der eroberten sowjetischen Gebiete. Hieran hatten die von Himmler in seiner Eigenschaft als »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« Beauftragten schon vor dem 22. Juni 1941 zu arbeiten begonnen. Die Deutschbesiedlung war für große Teile der europäischen UdSSR vorgesehen; vom Leningrader Gebiet (»Ingermanland«) im Norden bis nach »Taurien« und zur Krim im Süden reichend. Die Begrenzung nach Osten blieb noch offen.
Das Gebiet sollte mittels »Aussiedlung« von mehr als 30 Millionen Eingesessenen nach »Westsibirien«, mit deren »Untergang« die Planer rechneten, für deutsche Siedler (Gutshöfe, Großbauern- und »Wehrbauern«-Stellen) freigemacht werden.
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