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Aus: Ausgabe vom 07.06.2025, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Depot DDR-Museum in Berlin

Der Zukunft zugewandt

360.000 Objekte aus der DDR, und es werden stetig mehr. Ein Depot in Berlin-Marzahn dient der Erforschung und Konservierung des Alltags im Sozialismus
Von Michael Merz
In klimatisierter Umgebung wird das Erbe der DDR in riesigen Regalen gelagert – zwischendrin lugt auch mal ein Bärtiger hervor
Die monumentale Skulptur »Tank Henge«, in den wilden 90er Jahren war sie nahe dem verödeten Potsdamer Platz in Berlin aufgebaut, ist am Eingang des Depots unübersehbar
Die DDR war ein Land der Motorradfahrer, 140 Zweirädern ist eine eigene Halle gewidmet. Hier stehen Schmuckstücke wie eine seltene MZ Brasil oder diese tschechische Jawa
Stalin auf der einen, Gottschalk auf der anderen Seite – kreative Bastelei aus der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs rund um 1989
Lampenschirme, Tische, Polstergarnituren – im Depot des DDR-Museums findet sich fast alles, was über und unter dem sozialistischen Ladentisch gehandelt wurde
»Die DDR sollte als Teil eines zeithistorischen Konstrukts vermittelt werden«, sagt Eric Strohmeier-Wimmer, Militärhistoriker und wissenschaftlicher Leiter im Depot des DDR-Museums
Verschiedene Epochen an Mobiliar finden sich im gemütlich eingerichteten »Klub der Funktionäre« – in der Schrankwand verbergen sich Schnapsflaschen mit originalem Inhalt
Der offizielle Programmbetrieb des DDR-Fernsehens startete 1955 – die Ausrichtung der Antennen war eine Wissenschaft für sich und ein Politikum
Entdeckungen sind in jeder Ecke zu machen: Die Buchstaben von der Fassade einer Wechselstelle an der Friedrichstraße in Berlin

Das Erbe des sozialistischen deutschen Staates kommt einfach nicht zur Ruhe. In der Nacht zum Montag dieser Woche kam es auf einem Firmenareal neben dem Depot des DDR-Museums in Berlin-Marzahn zu einem Großbrand, die Flammen wüteten in drei Lagerhallen, eine Rauchsäule stand über dem östlichen Stadtrand. Dann, am Mittwoch nachmittag, brach das nächste Feuer in unmittelbarer Nähe aus, wieder war die Feuerwehr im Großeinsatz, die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts der Brandstiftung. »Wir sind nur knapp einer Katastrophe entgangen«, so die Leitung des Museums erleichtert – nicht auszudenken, wäre die Windrichtung eine andere gewesen.

Mit Katastrophen kennt man sich mittlerweile aus im DDR-Museum. Dass das erst im März eröffnete Depot überhaupt so schnell gebaut werden konnte, ist Folge einer solchen. 2022 war in einem Hotel in Berlin-Mitte ein riesiges Aquarium spektakulär geplatzt, etwa eine Million Liter Wasser flossen in die Umgebung, unter anderem in die benachbarten Ausstellungsräume. Für mehrere Monate musste der Touristenmagnet schließen, aber die Gelegenheit war gegeben, die umfangreiche Sammlung aus Hallen in Berlin-Spandau nach Marzahn zu verlagern.

Ein neues multifunktionales Zentrum für Forschung, Restaurierung und Bewahrung von etwa 360.000 Objekten aus vier Jahrzehnten der DDR entstand – eine Investition von rund drei Millionen Euro. Jedermann kann es mit eigenen Stücken ergänzen und besichtigen, an Führungen durch die klimatisierten Hallen teilnehmen. Tickets gibt es auf der Website des Museums. Das Interesse in den ersten Monaten seit der Eröffnung ist groß, vielleicht gerade, weil das Depot nicht als Museum verstanden werden will – ohne Kommentar und Interpretation stehen hier Gebrauchsgegenstände neben Kunstobjekten, meterhohe Regale voller Kisten neben ausgewählten Ausstellungsstücken, die verschiedene Epochen der DDR aufzeigen. Und der Zukunft zugewandt: In Zeiten, in denen die Erinnerung an 40 Jahre Leben im Sozialismus dem Vergessen anheimfällt – so als hätte es die DDR nie gegeben und wenn, dann ausschließlich im Kontext von Mauer, Stasi und Diktatur –, da ist es um so verdienstvoller, dass das Alltägliche für die Nachgeborenen konserviert wird.

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