Tod dem Spinner!
Von Peter Merg
Hart auf die Probe gestellt wird die Liebe zur Kreatur durch die Existenz der Wespe«, schrieb Wiglaf Droste 2003 ewig gültig in dieser Zeitung. Man möchte nur ergänzen: »und des Eichenprozessionsspinners«. Wer einmal einen ehemals anmutigen Parkbaum, eingesponnen im tödlichen Netz der lasterhaften Larven, hat verenden sehen, kann deren härteste Bekämpfung und Vertilgung nur gutheißen. Der Eichenprozessionsspinner weckt den Faschisten in uns, weil er selbst einer ist. Mag die Wespe die »Arschgeige der Lüfte« (Droste, a. a. O.) sein, die vor sich hinprozessierende Raupe des biologisch als Schmetterling geltenden feldgrauen Falterviehs ist der Inquisitor der Hecken, die Garotte der Sträucher. Weil sie es warm mag, kommt ihr die Erderwärmung zupass, in Heerscharen befällt sie nicht nur die Gärten Baden-Württembergs, Bayerns, von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern – nein, nun schickt sich Thaumetopoea processionea (Linnaeus, 1758) auch zur Eroberung des lieblichen Sachsens an, wie am Freitag das Waldschutzinstitut des Julius-Kühn-Instituts warnte.
Die Schäden, die der Nachwuchs des fahlen Flattermanns an Baum und Strauch verursacht, seien derzeit als »weniger akut« einzustufen als die gesundheitlichen Auswirkungen der fies-feinen Brennhaare auf Mensch und Tier. Im dritten diabolischen Larvenstadium gebildet, bricht das Selbstgestrickte des Schädlings leicht ab und setzt das Nesselgift Thaumetopoein frei. Mit Widerhaken kletten sich die Härchen in der Haut fest und verursachen Juckreiz, Schwellungen und bisweilen Asthmaanfälle. Kurz, der Nachtfalter und seine Brut sind Ausgeburten der Hölle, wovon sich überzeugen kann, wer sich ihrer bereits einmal mit Hilfe offenen Feuers erwehren wollte – sie brennen schlecht. Seit Mitte der 1990er Jahre tritt der Prozessionsspinner verstärkt in Deutschland auf, konterrevolutionär sind sie also auch.
»Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch« (Hölderlin). Es gibt Hoffnung, wo man sie nicht vermutet: »Nematoda« taufte Karl Asmund Rudolphi 1808 unscheinbare Fadenwürmer, die, lebendig auf die Baumkronen gespritzt, den bis zu drei Zentimeter langen Raupen den Garaus machen. Umweltverträglich, dem Menschen ungefährlich und gegen 90 Prozent der Satansbrut schweineeffektiv. Der Landkreis Lüneburg in Niedersachsen weiß die Tierchen seit drei Jahren nur zu rühmen. Wir meinen: Her mit dem Henkerwurm, Tod dem Spinner!
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