Merz-Kabinett befördert »Asylwende«
Von Marc Bebenroth
Die Staatsgewalt solle bloßer Befehlsempfänger werden, fordert die Polizeilobby. Von der Last, offenkundig illegale Anweisungen als solche anmahnen zu können, sollen Bundespolizisten künftig befreit werden – fordert zumindest der für die Truppe des Innenministers zuständige Vorsitzende der sogenannten Gewerkschaft der Polizei, Andreas Roßkopf. Am Mittwoch verlangte er im WDR von Minister Alexander Dobrindt (CSU), entsprechende »Klarheit« zu schaffen.
Durch eine Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts vom Montag, wonach die pauschale Zurückweisung von drei Menschen aus Somalia, die den Wunsch nach Asyl äußerten, an der Grenze zu Polen rechtswidrig war, sei »eine gewisse Verunsicherung im Kollegenkreis« aufgekommen, gab Roßkopf zu bedenken. Aus einer Weisung des Innenministers, die pauschale Zurückweisungen anordnet, müsse »die Haftung der Kollegen« gestrichen werden, falls erneut ein Gericht die Rechtswidrigkeit feststellt. Wer persönlich nicht mehr haftet, kann schließlich sorgenfreier den Regierungswillen forcieren.
Dobrindt hatte am Vorabend in der privat produzierten ARD-Sendung »Maischberger« Bedenken wie die des Polizeilobbyisten beiseitegewischt. »Das ist vollkommen abwegig, dass Polizisten belangt werden, wenn sie das tun, was ihr Auftrag ist«, sagte der CSU-Politiker. Der Auftrag sei von der Politik formuliert worden.
Derweil sorgte das Kabinett von Kanzler Friedrich Merz (CDU) für weitere »Klarheit« und griff den Bundestagsfraktionen von Union und SPD mit einer »Formulierungshilfe« aus dem Dobrindt-Ministerium in Sachen »sichere Herkunftsländer« unter die Arme. Wie ein Regierungssprecher am Mittwoch in Berlin ausführte, soll demnach die Bundesregierung diese Einstufung künftig per Rechtsverordnung vornehmen. Die Zustimmung des Bundesrats – inklusive entsprechende Verhandlungen mit den Länderchefs – wäre dann nicht mehr nötig. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese verteidigte am Mittwoch das Vorgehen der als richtig. Das »Scheitern an den Grünen« in der Länderkammer habe er bisher »bedauert«.
Erklärtes Ziel der von der Regierung geplanten Änderung ist, durch die Erweiterung der Liste »sicherer Herkunftsländer« Menschen von dort den Anspruch auf Asyl in der BRD leichter verwehren sowie bereits abgelehnte Asylsuchende aus diesen Staaten leichter abschieben zu können. Dobrindt sprach dazu im Anschluss an die Kabinettssitzung im Innenausschuss des Bundestags vom Vollziehen der »Asylwende«. Laut Koalitionsvertrag sollen zunächst die Staaten Algerien, Indien, Marokko und Tunesien als »sicher« deklariert werden. Bislang fallen unter diese Bestimmung alle EU-Mitgliedstaaten sowie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Moldau, Serbien, Ghana und Senegal. Menschen, die aus diesen Ländern einreisen, haben in der Regel keine Aussicht auf Asyl.
Wie bereits im Wahlkampf vor der vorgezogenen Bundestagswahl wiederholt gefordert, werden zur weiteren Entlastung der Vollzugsbeamten Menschen in Abschiebehaft oder in sogenanntem Ausreisegewahrsam weiter entrechtet. Die Vorschrift, wonach ihnen ein von Staat bestellter Rechtsbeistand zusteht, soll laut Kabinettsbeschluss vom Mittwoch gestrichen werden. Die von der vorherigen Bundesregierung eingeführte Vorschrift gilt auch für Asylsuchende, die im sogenannten Dublin-Verfahren in den EU-Staat ihrer Einreise überstellt werden sollen und deshalb inhaftiert sind. Ebenfalls mit Zustimmung der SPD ist die Abschaffung der Möglichkeit auf Einbürgerung von »besonders gut integrierten« Ausländern nach bereits drei Jahren in der BRD beschlossen worden.
Die Geflüchtetenorganisation Pro Asyl wertete das Vorgehen der Bundesregierung als »verfassungsrechtlich höchst problematisch«. Aus ihrer Sicht werden »Schlag auf Schlag« die Rechte von Geflüchteten geschleift, erklärte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, am Mittwoch.
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