Geteiltes Land
Von Reinhard Lauterbach
Der rechte Kandidat Karol Nawrocki hat die Präsidentschaftswahl in Polen gewonnen. Aber ein Erdrutschsieg war das nicht: 50,89 zu 49,11 Prozent. Gleich nach Schließung der Wahllokale hatte Rafał Trzaskowski von der liberalen Bürgerplattform noch minimal vorn gelegen. Doch der frenetische Jubel, den seine Anhänger auf Grundlage dieser wenig verlässlichen Exit Polls hinlegten, hatte etwas von Autosuggestion. Da wurde etwas für die Wirklichkeit genommen, was nur gilt, wenn man es so begriffslos fasst wie einst Helmut Kohl: Mehrheit sei Mehrheit, egal wie schmal.
Aber abgesehen davon, dass dieser Vorsprung sich nur bis zur nächsten Umfrage zwei Stunden später hielt: So ganz stimmt das ohnehin nicht. Rafał Trzaskowski hätte im Verbund mit Regierungschef Donald Tusk genau dasselbe Problem bekommen, das jetzt Karol Nawrocki hat: der Präsident einer äußerst knappen Mehrheit zu sein. Darunter liegt eine tiefgehende Spaltung der polnischen Gesellschaft, die mit den Polen »Gewinner oder Verlierer der Transformation« zwar annähernd, aber nicht hinreichend beschrieben ist, da sie wohl auf Klassenunterschieden beruht, aber eben auch auf einer darauf aufbauenden Kränkung. Trzaskowski hat in den Groß- und Universitätsstädten gewonnen, dort, wo es den Leuten relativ gut geht. Und im Norden und Westen, kurz: den ehemals deutschen Gebieten, wo die katholische Kirche nicht den sozialen Rückhalt besitzt, den sie im »alten« Polen östlich und südlich der Weichsel immer noch hat. Aber bei einer Wahl kommt es letztlich darauf an, wer mehr seiner Anhänger mobilisiert, und nicht darauf, wer in den sozialen Blasen von Warschau, Gdansk oder Poznan brilliert.
Das ist Karol Nawrocki besser gelungen. Mit einem Wahlkampf, der perfide und gezielt Ängste mobilisiert hat: vor Deutschland, vor der EU, vor Migranten, vor der »Adaptation« von Kindern durch LGBT-Paare, wie es am Freitag vor der Wahl in einer Anzeige Nawrockis hieß. Wobei nicht klar war, ob das ein zufälliger Terminologiefehler war oder ein gezielter: um zu suggerieren, dass gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder adoptieren, diese in Wahrheit »adaptieren«, also umpolen, wollten.
Nawrocki hat auch genutzt, dass Trzaskowski programmatisch einen Gemischtwarenladen aus Schönfärberei, EU-Enthusiasmus und Wirtschaftsliberalismus bei gleichzeitiger Anbiederung an den rechten Überbau namens »Patriotismus« propagiert hat. Das hat bei den PiS-Anhängern nicht gezogen, ihn aber vermutlich Stimmen auf der Linken gekostet. Etwa ein Sechstel der Wähler der Partei Razem soll für Nawrocki gestimmt haben. Trzaskowski mit seiner Vergangenheit als rechte Hand der Warschauer Immobilienwirtschaft ist für dieses Milieu nicht glaubwürdig; da konnte er noch so sehr die harte soziale Wirklichkeit mit einer Sauce von »Toleranz« und »Vielfalt« zuschütten. Jetzt hat er den Salat.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (3. Juni 2025 um 12:14 Uhr)Dieser Fluss heißt Wisla, Herr Lauterbach. Gab’s schon vor der deutschen Ostsiedlung (Charles Higounet). – Was die jungen Menschen in den Universitätsstädten betrifft: Denen steht wohl eher der Sinn nach Familie und Kindern und einem heilen Mann als nach Wehrpflicht, die mit Herrn Tusk kommen wird. Da sind wir Polaki etwas sensibel, denn es reicht eine klitzekleine Lüge wie im August 1939. Und schon geht der Deutsche wieder zur Sache. Apropos: Am 6. Juni 1944 sollen bis zu 6000 Soldaten der westlichen Alliierten gestorben sein. Wohl auch etwa dieselbe Zahl an Wehrmacht und SS. Macht 12000 Tote in dieser Schlacht, die als Wende im Zweiten Weltkrieg propagiert wird. An einem einzigen Tag. Denn der Russe hatte ja nur noch den Osten. Und zwar vom 22. Juni 1941 bis zum 9. Mai 1945. 1416 Tage = offiziell 27000000 Tote. mehr als 19000 Tote im Durchschnitt täglich. Realistische Untersuchungen gehen von bis zu 40000000 Millionen Toten aus. Wie viele körperlich und geistig Behinderte kommen wohl noch dazu? - Immer wieder ein Vergnügen zu hören, wenn aus dem Westen über Spezialoperation gewitzelt wird. Denn so nannten die Regierungen der USA seit J. F. Kennedy auch das Massenmorden in Vietnam. 4000000 tote Vietnamesinnen und Vietnamesen, Spätfolgen bis heute. Dann kann doch drüber gewitzelt werden, wenn noch ein paar Leute dran sterben, wenn in der Russländischen Föderation zwei, drei Brücken gesprengt werden. Das war doch der Russe! Oder Putin!
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Leserbrief von E.Rasmus aus Berlin (3. Juni 2025 um 20:06 Uhr)Pardon, bei allem Guten und Richtigen, was Sie schreiben, aber warum darf ich nicht Weichsel sagen und schreiben? Ich sage und schreibe auch Warschau, wie , wenn auch neuteutsch nicht genehm, gleichfalls Peking. Vielleicht darf ich überhaupt nicht mehr vor lauter Anerkennungsübertreibung deutsch sprechen und schreiben. Genauso bleibe ich beim männlichen Subjekt - zum Beispiel Ingenieur - ohne -innen. Es gibt ja auch außen. Also ich entfremde mich nicht von meiner Vergangenheit und gebrauche andererseits auch das Wort Friseuse, weil Friseurin häßlich klingt - nahezu primitiv. Und in der DDR waren Begriffe wie Negerküsse und Mohrenköpfe wie Zigeunersteaks nicht herabwürdigend. Und ohne die Anhänge existierten auch klassisch Bezüge in Literatur und Musik.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (4. Juni 2025 um 11:33 Uhr)Bringen Sie da nicht einiges durcheinander? Es ist schon ein Unterschied, ob man Warschau statt Warszawa sagt oder wenn man partout darauf besteht, rassistische Begriffe wie Negerküsse und Mohrenköpfe zu verwenden. Genauso verhält es sich mit dem Begriff »Zigeunersteak«: Schon allein deshalb, weil Sinti und Roma ihn als abwertend empfinden, ist es eine Frage des Respekts und des Anstands darauf zu verzichten. Der Deutsche Zentralrat der Sinti und Roma schreibt in einer Stellungnahme: »Die Bezeichnung ›Zigeuner‹ ist untrennbar verbunden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich, über Jahrhunderte reproduziert, zu einem geschlossenen und aggressiven Feindbild verdichtet haben.«
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