Von den Kategorien
Von Kay Sokolowsky
Man soll es mit der Bewunderung nicht übertreiben, aber eine gewisse Ehrfurcht hat Clinton »Clint« Eastwood durchaus verdient. Er ist einer der größten Stars, die Hollywood je hervorgebracht hat, eine Kinoikone im Sinn des Wortes, und zugleich ein Regisseur von enormem Stil- und Formbewusstsein.
Dergleichen kommt höchst selten vor. Charles Chaplin war eines dieser raren Exemplare, vielleicht auch Orson Welles, und wahrscheinlich wird es nach Eastwood nie wieder einen Menschen geben, der zugleich ein immens populärer Filmemacher und eine Weltberühmtheit als Schauspieler ist. Denn Stars werden heutzutage von Marktforschern, PR-Managern und Investmentbankern erschaffen, und angehende Regisseure, die sich wie Eastwood nicht reinquatschen lassen mögen, können lange, manchmal ewig warten, bevor sie debütieren dürfen, und wenn’s schiefläuft, ist eine zweite Chance nicht vorgesehen.
Vor 70 Jahren jedoch, als er in die Branche einstieg, brauchte ein junges Talent nur den richtigen Mentor, um seine Eignung als Leinwandidol zu beweisen. Eastwoods Entdecker war der italienische Meisterregisseur Sergio Leone, und hätten Henry Fonda, Charles Bronson und James Coburn nicht die Hauptrolle in »Für eine Handvoll Dollar« (1964) ausgeschlagen, wäre der ziemlich unbekannte Kalifornier möglicherweise nie über Rollen in Fernsehserien und B-Horrorfilmen hinausgekommen.
Gemeinsam mit Leone aber schuf Eastwood einen Westernhelden, wie es nie einen gegeben hatte: den Mann ohne Namen und ohne Geschichte, der sich von den Schurken, die er lässig, fast beiläufig aus dem Weg räumt, nur dadurch unterscheidet, dass er keinen Spaß am Killen hat; er kann’s freilich besser als jeder andere. Frei von Skrupeln, obgleich nicht gewissenlos, in einer Welt voller Betrüger ein Experte für schmutzige Tricks, stets auf den eigenen Nutzen bedacht, doch nicht gierig, ist diese Figur moralisch kaum zu fassen, so wie sich ein streunender Wolf nicht mit Spießerethik beurteilen lässt.
In seinen etwas schäbigen, von langen Ritten durch die Steppe verstaubten Kleidern, mit der Sarape, die er wie einen Poncho überwirft, und dem gleichsam angewachsenen Zigarillostumpen im Mundwinkel, wirkt dieser Desperado tatsächlich, als wäre er in einer verzweifelten Lage. Aber das ist nur Camouflage. Um ihn schwebt eine Aura von Gefahr, und wer sie, aus Dummheit oder Überheblichkeit, nicht wahrnimmt, ist bereits so gut wie tot. Eastwood mimt diesen opaken Charakter mit auf das Nötigste reduzierten Mitteln: ein Zucken in der mürrischen Miene, ein Seitenblick aus den zusammengekniffenen Augen, ein Rollen des Stumpens im, wenn überhaupt einmal, ironisch lächelnden Mund.
Der Mann ohne Namen – ohne Nachnamen, um genau zu sein – ist auch deshalb ein Archetyp des Kinos geworden, weil er untrennbar mit der unverwechselbaren Physis Eastwoods, seinem langen, sehnigen Leib und schmalen Gesicht, verbunden ist. Er hat den Einzelgänger, der nur die eigenen Regeln achtet, auch außerhalb des Westerngenres kultiviert – in »Dirty Harry« Callahan ebenso wie im verbitterten Koreakriegsveteran Walt Kowalski (»Gran Torino«, 2008). Die düsterste Version liefert der Revolverheld Will Munny in Eastwoods Opus magnum »Unforgiven« (1992) ab: Hier wandelt ein gefallener Engel, ein Bote des Todes (»Wer noch keine Lust zu sterben hat, macht, dass er hier rauskommt«).
Er redet nicht viel, weil sowieso niemand zuhört. Tut er aber den Mund auf, fallen Aphorismen für die Kinogeschichte heraus. Den brillantesten äußert er in »The Good, the Bad and the Ugly« (»Zwei glorreiche Halunken«, 1966), dieser Apotheose des Italowesterns, wenn nicht des Genres schlechthin, einem in jederlei Bedeutung phantastischen Film. Kurz bevor »Blonder« den Banditen Tuco wieder mal rein- und den Sadisten Sentenza in einen offenen Sarg umlegt, konstatiert er (die Szene spielt auf einem unermesslich großen Friedhof): »Es gibt zwei Kategorien von Menschen – die einen haben einen Revolver, und die anderen buddeln.«
Und es gibt zwei Kategorien von Hollywoodstars – die einen werden schon zu Lebzeiten vergessen, und die anderen sind bloß einer namens Clint Eastwood.
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