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Aus: Ausgabe vom 26.05.2025, Seite 8 / Ansichten

Rhetorik vs. Realität

Iran gibt sich bereit für Krieg mit Israel
Von Knut Mellenthin
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Traue niemals einem Ami, soll wohl die Aussage dieses Wandbilds in Teheran sein (3.5.2025)

Der 24. Mai wird im Iran traditionell als Jahrestag der Befreiung von Chorramschar gefeiert. An diesem Tag im Jahr 1982 eroberten iranische Streitkräfte, darunter viele junge Freiwillige, die direkt an der Grenze gelegene, wirtschaftlich bedeutende Hafenstadt zurück, die Iraks Armee im Herbst 1980, kurz nach Beginn ihres Angriffskrieges, überrannt hatte. Die Befreiung Chorramschars gilt zwar als Kriegswende, aber dieser zog sich trotzdem unter riesigen Menschenverlusten noch bis zum August 1988 hin. Die Zahl der getöteten iranischen Soldaten und Kämpfer anderer Formationen wird zwischen 200.000 und 600.000 geschätzt. Die wechselnden Situationen während des Krieges waren offenbar außergewöhnlich unübersichtlich.

Die Feiern und Stellungnahmen der Revolutionsgarden (IRGC) und der regulären iranischen Streitkräfte standen in diesem Jahr ganz im Zeichen der allgemeinen Unruhe über den Ausgang der Verhandlungen mit den USA und die Meldungen über die Angriffsvorbereitungen der israelischen Streitkräfte. In einer Erklärung zum Tag versicherte das Korps der Revolutionsgarden, man stehe »voll bereit«, um »auf jeden feindseligen Akt des Feindes eine entscheidende, Reue einflößende Antwort jenseits des Vorstellbaren zu erteilen«.

Das ist die normale Rhetorik iranischer Militärs. Gern werden auch Begriffe wie »zerschmetternde« oder »verheerende Antwort« verwendet. Anlässlich des Jahrestages setzte die Führung der IRGC auf die übliche sinnlose, realitätsferne Prahlerei noch einen Aufruf an die jungen Iraner drauf: »Die Jugend Irans, inspiriert von diesem Modell des Widerstandes (…), kann in neuen Chorram­schar-Schlachten triumphieren«. Sie könne »den Feind in der heutigen multidimensionalen hybriden Kriegführung ebenso schlagen, wie es zuvor ihre jungen Kommandeure taten«. Es folgten Schwärmereien, dass »die regionalen Nationen und die Soldaten des Islam« demnächst »auf die zionistische Verderbtheit niederkommen« würden und Irans »Antwort« das Kräfteverhältnis in der Region völlig umgestalten werde.

Das geschieht in einem Staat, dessen vielleicht dümmste, beharrlich wiederholte Propagandaparole lautet: »Niemand wird wagen, Iran anzugreifen!« Der Widerspruch ist offensichtlich. Es wäre schon unter besseren innergesellschaftlichen Bedingungen unwahrscheinlich, dass man »die Jugend« mit der expliziten Aussicht auf einen jahrelangen Krieg begeistern könnte. Die Beschwörung »neuer Chorramschar-Schlachten« wirkt abschreckend. Hinzu kommt aber, dass sich das Establishment der Islamischen Republik in einen irrationalen, selbstzerstörerischen Kulturkrieg gegen »die Jugend«, besonders auch gegen die jungen Frauen, hineingesteigert hat. Die gegenwärtige Regierung unter Präsident Massud Peseschkian scheint gern den Rückwärtsgang einlegen zu wollen. Aber wieviel Zeit bleibt dafür noch?

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