Vogelgrippe trifft Billigfleischzüchter
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Unter der Losung der »Veredelung von Soja« hat Brasilien in den vergangenen 25 Jahren die Massentierhaltung, insbesondere die Geflügelmast, drastisch ausgebaut und sich zum heute weltweit größten Exporteur von Hühnerfleisch aufgeschwungen. Nun ist Mitte Mai in einem Geflügelbetrieb im südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul erstmals die Vogelgrippe ausgebrochen, und 35 Länder, vor allem China und die Europäische Union, haben ein Importverbot für brasilianisches Hühnerfleisch verhängt.
Brasilien beliefert mehr als 150 Länder mit Geflügelfleisch, das hauptsächlich in den südlichen Bundesstaaten Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul auf der Basis von genetisch manipuliertem Soja und Mais in großen Mastbetrieben produziert wird. Im vergangenen Jahr war Brasilien mit 14,9 Millionen Tonnen nach den USA und China zwar »nur« der drittgrößte Erzeuger von Hühnerfleisch, aber der mit großem Abstand weltweit größte Exporteur. Es verschiffte insgesamt 5,3 Millionen Tonnen. 562.000 Tonnen gingen in das Hauptimportland China, 455.000 Tonnen in die Vereinigten Arabischen Emirate und 433.000 Tonnen nach Japan.
Laut dem brasilianischen Landwirtschaftsministerium sei die Vogelgrippe lediglich in einem Betrieb in der Region Montenegro ausgebrochen, in der Geflügel ausschließlich für den heimischen Markt produziert werde. Das Ministerium habe alle notwendigen Maßnahmen zur Kontrolle der Situation umgehend ergriffen, den Betrieb isoliert und den gesamten Geflügelbestand vernichtet.
Gegenüber den Medien gab sich Landwirtschaftsminister Carlos Fávaro zuversichtlich, dass Brasilien seinen Status als vogelgrippefreies Land wiedererlangen und damit auch die Exporte von Hühnerfleisch bereits in einem Monat wieder aufnehmen könne, falls in diesem Zeitraum keine Neuinfektionen auftreten.
Das gelte auch für Exporte nach China. Bereits im vergangenen Jahr hatte der asiatische Staat den Hühnerfleischimport aus Rio Grande do Sul aufgrund eines Falles der Newcastle-Krankheit, eine andere hochansteckende Viruserkrankung des Geflügels, die auch von Wildvögeln verbreitet werden kann, eingestellt.
Auch der Präsident des Brasilianischen Tierproteinverbandes (ABPA), Ricardo Santin, gibt sich gelassen. Brasilien habe sich auf dem Weltmarkt vor allem aufgrund niedriger Produktionskosten zunehmend etabliert. Brasilianisches Hühnerfleisch sei deutlich billiger als europäisches oder US-amerikanisches, so Ricardo Santin. Der Export der Geflügelproduktion werde auf die Länder umverteilt, die noch kein Importverbot ausgesprochen oder das Verbot lediglich auf Produkte aus Rio Grande do Sul beschränkt haben, wie Japan, die Philippinen, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien.
Allerdings lehnen Verbraucher- und Tierschützer wie der österreichische Verein für Konsumenteninformation (VKI) Geflügelfleischimporte aus Brasilien selbst ohne Vogelgrippeinfektionen ab. Hühnerfleisch aus Brasilien bedeute Leid für Umwelt, Mensch und Tier. Es werde unter qualvollen Bedingungen für Mensch und Tier produziert, so der VKI, der ausbeuterische Arbeitsbedingungen in den brasilianischen Mast- und Schlachtunternehmen beklagt. Dabei dominierten zwei multinationale Aktienkonzerne, BRF und JBS, die brasilianische Industrie. Laut dem Börsenfachjournal Valor Investe seien die Aktien der beiden Konzerne an den Börsen vergangene Woche infolge der Bestätigung von Vogelgrippefällen in Rio Grande do Sul kurzfristig stark eingebrochen. Doch inzwischen sind sie wieder im Aufwind.
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