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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 6 / Ausland
Nachruf

Der Präsident der Aphorismen geht

»Pepe« Mujica hat der Welt viel geschenkt. Seine Leichtigkeit und sein Einsatz für mehr Gerechtigkeit werden fehlen. Ein Nachruf
Von Carmela Negrete
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Lateinamerikanische Solidarität: Chávez empfing Mujica nach dessen Wahlsieg (Caracas, 7.4.2010)

José »Pepe« Mujica wurde 1935 als Sohn eines Nachfahren spanischer Einwanderer in Uruguay geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs er in einfachen Verhältnissen auf, wurde Gemüsebauer und Florist – ein Beruf, den er bis zum Schluss ausübte. 2015 reiste er ins Baskenland, die Heimat seiner Vorfahren mütterlicherseits, und sagte dort: »Sie müssen es wirklich schlecht gehabt haben, um dieses Paradies hier zu verlassen.« Am Dienstag verstarb Mujica nur eine Woche vor seinem 90. Geburtstag an einer Krebserkrankung in seiner »Chacra«, seinem bescheidenen Landhaus in der Nähe der Hauptstadt Montevideo.

Der frühere Guerillero regierte das Land als Präsident von 2010 bis 2015 mit dem linken Frente Amplio – stets ohne Prunk, dafür mit Überzeugung. Bekannt wurde er weltweit als »der ärmste Präsident der Welt«. Doch er selbst sagte dazu: »Besser leben heißt nicht nur mehr haben, sondern glücklicher sein.«

Mujica war der Präsident der Aphorismen. Seine Lebensweisheiten waren keine Phrasen, sondern tief empfundene, erlebte Wahrheiten: »Arm ist nicht, wer wenig hat, sondern wer viel will.« Oder: »Man kauft Dinge nicht mit Geld, sondern mit der Zeit, die man aufwendet, um dieses Geld zu verdienen.« Deshalb spendete er den Großteil seines Präsidentengehalts, wollte seine Residenz für Obdachlose öffnen und sagte oft: »Ich lebe mit dem Nötigsten, damit mich die Dinge nicht meiner Freiheit berauben.«

»Pepe« – ein Kosename für José auf Spanisch – wusste, was es bedeutet, unfrei zu sein. 13 Jahre verbrachte er in Isolationshaft, wurde unter der Militärdiktatur, die bis 1985 andauerte, gefoltert. »Die schlimmste Einsamkeit ist die, die wir in uns tragen«, sagte er in Interviews – und rief dazu auf, »im Inneren nach dem besseren Ich« zu suchen. Er empfinde keinen Hass gegenüber anderen Menschen, sondern glaube an die Kraft des Menschlichen. »Macht verändert Menschen nicht, sie zeigt nur, wer sie wirklich sind.«

Als junger Mann schloss er sich der städtischen Guerilla Tupamaros (MLN) an. Sie verübten politisch motivierte Entführungen, führten Umverteilungen von Lebensmitteln an Arme durch und finanzierten sich durch Banküberfälle und Waffenraube. Doch Mujica verwandelte seinen Kampf in einen politischen Weg der sozialdemokratischen »Verständigung«: »Vielleicht irre ich mich, denn ich irre mich oft – aber ich sage, was ich denke.«

Er verstand Politik als Berufung: »Politik ist kein Zeitvertreib, kein Beruf zum Geldverdienen – sie ist eine Leidenschaft mit dem Traum, eine bessere soziale Zukunft zu schaffen.« In seiner Amtszeit wurden Meilensteine erreicht: die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und der gleichgeschlechtlichen Ehe sowie die Regulierung des Marihuanamarktes. »Wer Geld liebt, soll sich von der Politik fernhalten«, sagte Mujica – und prägte damit nicht nur Uruguay, sondern auch das gesellschaftliche Imaginäre weit über das Land hinaus: mit Einfachheit, Konsequenz, Menschlichkeit. Den kapitalistischen Konsumwahn kritisierte er scharf: »Wenn wir alle wie ein durchschnittlicher Amerikaner konsumieren wollten, bräuchten wir drei Planeten.«

Nach dem Ende seiner Präsidentschaft gründete er eine Berufsschule auf seinem Acker, um jungen Menschen das Gärtnern zu vermitteln. In der Dokumentation »El Pepe: Ein Leben an höchster Stelle« von Emir Kusturica sprach er darüber, dass er gerne Kinder gehabt hätte. Die Diktatur raubte ihm und seiner Partnerin Lucía Topolansky diese Jahre. Das Paar blieb kinderlos – aber Mujica suchte immer den Austausch mit der Jugend.

Einer seiner letzten öffentlichen Auftritte war beim 40jährigen Jubiläum der Rückkehr zur Demokratie in Uruguay am 1. März. Nun, mit seinem Tod, trägt ein ganzes Land Schwarz. Die Regierung rief drei Tage Staatstrauer aus, am Mittwoch (Ortszeit) sollte der Sarg zur Totenwache im Salón de los Pasos Perdidos im Nationalparlament überführt werden. Neben anderen progressiven Persönlichkeiten kündigte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva an, persönlich von »Pepe« Abschied nehmen zu wollen. Dessen Vermächtnis bleibt. In seinen Worten, in seiner Haltung. »Es ist ein Unterschied, ob man lebt, weil man geboren wurde, oder ob man für eine Sache lebt.«

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