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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 7 / Ausland
Libyen

Nachwehen des NATO-Kriegs

Libyen: In Tripolis sind erneut Kämpfe ausgebrochen. Führender Milizenchef getötet
Von Luca Schäfer
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Die Straßenkontrollen sehen nicht danach aus, dass die Ruhe wiederhergestellt ist (Tripolis, 13.5.2025)

Abdul Ghani Al-Kikli, Anführer einer der mächtigsten libyschen Milizen – des Support Force Apparatus (SSA) – ist tot. Sein Ableben und der erneute Ausbruch von Kämpfen wirft ein Schlaglicht auf den fragilen Status quo des im Chaos versinkenden Landes. Ghaniwa, wie Al-Kikli genannt würde, starb am Montag bei einer Schießerei in Tripolis. Die Feuergefechte in mehreren Teilen der Hauptstadt dauerten Meldungen zufolge den ganzen Tag über an. Mindestens sechs weitere Menschen sollen verletzt worden sein. Das Außenministerium der sogenannten nationalen Einheitsregierung (GNU) mit Sitz in Tripolis meldete anschließend das Ende einer »erfolgreichen Kampfmission«. Man habe die volle Kontrolle über alle Hauptquartiere des SSA übernommen, hieß es weiter. Am Dienstag meldeten Agenturen, dass die Kämpfe in der Hauptstadtregion erneut aufflammten. Am Mittwoch rief die Regierung eine Waffenruhe aus.

Unklar bleibt, welche Rolle die GNU genau spielte – war sie informiert oder überrumpelt; und war sie Teil der Aktionen? Schließlich galten sie und der SSA als alliiert. Laut Middle East Monitor geht der Tod des Milizenchefs auf das Konto der Einheitsregierung im Verbund mit der mit Ghaniwa konkurrierenden Brigade 444 des Kommandeurs Mahmoud Hamza. Am Mittwoch lieferten sich Reuters zufolge die Brigade 444 Gefechte mit der islamischen Einheit für Terrorismusbekämpfung (RADA). Nach den Kämpfen vom Montag wirkte die Reaktion der Vereinten Nationen fast hilflos: Die UN-Hilfsmission in Libyen (UNSMIL) rief zur Deeskalation auf. Sie warnte zudem vor dem Einsatz schwerer Waffen und vor Kriegsverbrechen, da die Gefechte offensichtlich in Wohngegenden ausgetragen wurden.

Sicher ist, dass das erneute Aufflammen der Kämpfe die Fragilität der angeblichen Einigung in Libyen zeigt. Der SSA von Ghaniwa war seit 2022 eine von formal nur noch zwei in Tripolis aktiven Milizen. Daneben war in der wichtigen Hauptstadtregion noch die bis dato ebenfalls GNU-nahe RADA unter Abderrauf Kara aktiv. Andere Milizen waren zuvor in einem blutigen Prozess aus der Metropolregion vertrieben worden. Die jüngste Eskalation dürfte ein Versuch der international gestützten Regierung in Tripolis von Premierminister Abd Al-Hamid Dbeiba sein, die Milizen zu entmachten und den eigenen Einflussbereich auszuweiten.

Ghaniwa galt einem UN-Expertenbericht von Ende 2024 zufolge als führende Figur im libyschen Machtgefüge. Nach Informationen von Amnesty International soll Ghaniwas SSA mitunter ausführendes Organ bei illegalen Pushbacks, dem EU-finanzierten und gezielten Zurückdrängen von Geflüchteten in libysches Hoheitsgebiet, sowie bei der Durchsetzung von Zwangsarbeit und -prostitution gewesen sein. Der Name des Getöteten taucht zudem in einem mehrseitigen Report des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) von 2022 auf – ein Bericht für den Internationalen Strafgerichtshof über die Gewalt in den Flüchtlingslagern. In Libyen werden regelmäßig neue Massengräber von Geflüchteten entdeckt, zuletzt im Februar. Dessen ungeachtet plant die US-Regierung unter Donald Trump in einem Kuhhandel offenbar, eingefrorene Milliarden der Ghaddafi-Regierung im Gegenzug für die Deportation von Migranten nach Libyen freizugeben.

Nachdem Muammar Al-Ghaddafi 2011 im Zuge einer Intervention der NATO gestürzt und ermordet worden war, entstanden Dutzende Milizen. Das Gewaltmonopol des Zentralstaates zerbrach. Offene Verteilungskämpfe um staatliche Gelder, die Schattenwirtschaft und den Ölreichtum des Landes brachen aus. Zur Erinnerung: Davor galt Libyen als Motor einer panafrikanischen Einigung und als das wohlhabendste Land des Kontinents mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen und der längsten Lebenserwartung. Bildung und Gesundheitsversorgung waren kostenfrei.

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