Saft für die NATO
Von Ralf Wurzbacher
»Allianz pro Schiene« und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) fordern mehr Tempo bei der Elektrifizierung der Bahn. Man erwarte, dass das bundeseigene Netz bis zum Jahr 2035 zu 80 Prozent mit Oberleitungen ausgestattet ist, erklärten Vertreter beider Organisationen am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Berlin. Bis dato gilt das lediglich für knapp über 60 Prozent der Schienenwege in staatlicher Regie. In der Schweiz sind es seit der Jahrtausendwende nahezu 100 Prozent. Tatsächlich will die neue Bundesregierung den Ausbau »beschleunigen und auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis verzichten«, wie es im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt. Soll bedeuten: weniger Bürokratie für mehr Saft.
Aber geschieht das wirklich aus ökologischen Motiven, gemäß der ausgegebenen Marschroute »Elektrifizierung ist Klimaschutz«? Wohl kaum. Das eigentliche Interesse liegt offensichtlich darin, Deutschland möglichst rasch auf Kriegskurs zu bringen. Ein Netz unter Strom sei »leistungsfähiger und resilienter«, da darauf längere und schwerere Züge verkehren könnten, konstatieren die beiden Verbände in einer Medienmitteilung. VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff: »Niemand hat in den letzten Jahrzehnten bei der Ertüchtigung und Modernisierung des deutschen Schienennetzes an militärische Zwecke gedacht. Aber die Zeiten haben sich geändert.« Der Funktionär hat damit anscheinend kein Problem. »Deutschland ist die zentrale Logistikdrehscheibe für Waren- und Gütertransporte in Europa, das müssen wir auch für solche Fälle und für das gesamte Schienennetz berücksichtigen.«
Aus diesem Blickwinkel ist die forcierte Aufrüstung auch ein möglicher Profitreiber für Eisenbahnunternehmen, von denen es in Deutschland Hunderte gibt. Wie junge Welt unlängst berichtete, hat die Bundeswehr weitreichende Kooperationen mit öffentlichen und privaten Unternehmen angestoßen, um sich logistisch für eine mithin kriegerische Auseinandersetzung mit Russland zu rüsten. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Bahninfrastruktur. Als Achillesferse erweist sich insbesondere der grenzüberschreitende Verkehr. Derzeit sind nicht einmal die Hälfte aller Übergänge ins europäische Ausland elektrifiziert, weshalb viele Güter insbesondere aus Osteuropa auf der Straße transportiert werden. »Hier tut sich seit Jahren viel zu wenig«, befand Dirk Flege, Geschäftsführer bei »Allianz pro Schiene«. »Enormen Nachholbedarf« sieht er vor allem beim Transfer nach Polen und Tschechien; diesen »schnellstmöglich anzugehen, ist aus verteidigungspolitischer Sicht wichtig«. Warschau und Prag kommt in der NATO-Strategie gegen Moskau eine bedeutende Rolle als Transitstaaten für Truppen und Kriegsgerät zu. Immerhin vergaß Flege nicht zu erwähnen, dass auch der internationale Personen- und Güterverkehr etwas davon hätte, »weil sich Reisezeiten dadurch deutlich verkürzen«.
Laut Koalitionsvertrag sollen die Digitalisierung und Elektrifizierung der Schiene aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden. Im Durchschnitt der vergangenen 15 Jahre hat die Deutsche Bahn jährlich lediglich 75 Streckenkilometer mit Oberleitungen bestückt. Um innerhalb von zehn Jahren die Marke von 80 Prozent zu erreichen, müssten es pro Jahr rund 600 Kilometer sein. Wie rasch und in welchem Umfang CDU/CSU und SPD ihr Vorhaben vorantreiben wollen, ist in ihrer Vereinbarung nicht festgehalten. Bloß an einer Stelle wird es konkret: »Zentrale Teile der Verkehrsinfrastruktur nach Polen und der Tschechischen Republik werden zügig ausgebaut. Dafür stellen wir schnellstmöglich Planungsrecht und Finanzierung sicher.«
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