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Aus: Ausgabe vom 07.05.2025, Seite 2 / Inland
Neonazis in Demmin

»Sie betrauern den Zusammenbruch des Hitlerregimes«

Mecklenburg-Vorpommern: Faschistischer Aufmarsch zum 8. Mai in Demmin erwartet. Nazigegner mobilisieren. Ein Gespräch mit Guido Fröschke
Interview: Gitta Düperthal
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Rund 30 Menschen blockieren sitzend die Straße, auf der ein rechter Aufmarsch durch Demmin ziehen sollte (8.5.2024)

Zum Tag der Befreiung von den Nazis mobilisiert ein Aktionsbündnis nach Demmin, um dort gegen den Aufmarsch der extrem rechten »Die Heimat«, früher NPD, zu demonstrieren. Motto: »80 Jahre später: den Nazis keinen Meter.« Warum zieht es die Neonazis am 8. Mai in den Ort?

Mehr als 200 Nazis marschieren dort am Tag der Befreiung auf. Sie reisen bundesweit an und nutzen den Tag, um ihre faschistische Ideologie zu verbreiten und die Geschichte des Ortes in ihrem Sinn zu instrumentalisieren: In Demmin hatte 1945 ein Massensuizid stattgefunden. Weil die Wehrmacht bei ihrem Abzug damals alle Brücken zerstörte, blieben die Bewohner des Ortes eingekesselt. Sie wussten, wie brutal die Deutschen in der Sowjetunion vorgegangen waren und hatten Angst vor der Rache.

Die Rote Armee blieb mehrere Tage im Ort. Es gab damals Vergewaltigungen und Plünderungen. Den Neonazis geht es aber nicht etwa um Trauer wegen damals verstorbener Menschen. Die betrauern den Zusammenbruch des Hitlerregimes und die Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Sie wollen von den Massenmorden der Nazis ablenken, die auch Russen und Polen das Leben kosteten, und den Blick einzig auf das Leid der deutschen Bevölkerung umlenken. Sie weigern sich, das Geschehen im Kontext der faschistischen Verbrechen der Nazis zu sehen.

Was setzen Sie den Faschisten entgegen?

Wir rufen auf, ihnen keinen Raum dafür zu lassen. Wir sind eine weltoffene Stadt, wollen in Demmin und anderswo keine Nazis. Wir wehren uns dagegen, dass sie den Gedenktag in ihrem Sinn mit rechten Narrativen umdefinieren wollen. Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr von rechts vor Ort?

Linksorientierte Menschen leben hier im Alltag nicht gefährlich. Allerdings gab es Angriffe auf das Büro ehrenamtlicher Vereine, »T30«, die sich für Demokratieprojekte und gegen rechts engagieren. Und beim SPD-Büro wurden 2024 Scheiben eingeworfen.

Welche Reaktionen der Bevölkerung auf die rechten Aufmärsche nehmen Sie wahr?

Bei der Bundestagswahl konnte die AfD in Demmin etwa 47 Prozent der Stimmen sowie ein Direktmandat für den Bundestag holen. Viele Menschen im Ort wollen keine Auseinandersetzung, sondern »ihre Ruhe«. Sie sagen: »Lass sie doch marschieren, wir machen das Fenster zu.« Wir aber meinen: Das reicht nicht. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich die Straße nehmen.

Jüngst hat der Inlandsgeheimdienst seine Einstufung der AfD als »gesichert rechtsextrem« offiziell gemacht. Was halten Sie von der seither geführten Verbotsdebatte?

Mit ihren extrem rechten Positionierungen, Aussagen und radikalem Gequatsche im Bundestagswahlkampf hat die AfD eine Vorlage geliefert. Also musste der Verfassungsschutz zum Ergebnis kommen, dies als »gesichert rechtsextrem« zu bezeichnen. Was das Verbotsverfahren betrifft: Dann sollte die Lage so reif sein, dass man davon ausgehen kann, dass es mit Sicherheit klappt. Unabhängig davon halte ich es für wichtig, zu versuchen, die Wählerinnen und Wähler politisch mit Argumenten und Positionen zu erreichen – damit sie nicht mehr extrem rechts wählen. Dazu bedarf es sozialer Gerechtigkeit.

Auf welchem Weg soll diese hergestellt werden?

Wir müssen etwas gegen die Milliardäre unternehmen: Soviel Geld braucht keiner. Wir müssen die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus beenden. Die Menschen benötigen nicht nur den Mindestlohn, sie müssen auch mit ihren Kindern in den Urlaub fahren können. Man muss angstfrei leben können. Dazu gehört, dass scharf kontrolliert wird, wohin Waffen geliefert werden. Statt dessen gilt es, die Ursachen von Kriegen zu bekämpfen.

Was erhoffen Sie sich von der Mobilisierung am 8. Mai in Demmin?

Wir hoffen, dass wir die Bürgerinnen und Bürger dazu bewegen können, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen, statt den in die Welt gesetzten Plattitüden von Nationalisten hinterherzurennen.

Guido Fröschke ist Sprecher des »Aktionsbündnisses 8. Mai Demmin«

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