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Aus: Ausgabe vom 05.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Landlust

Stillstandsgesprächigkeit

Aus der Provinz
Von Jürgen Roth
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Politischer Aschermittwoch der CSU am 14. Februar 2024 in der Dreiländerhalle in Passau

An elf Tagen im Jahr müssen, das Gesetz schreibt es vor, die heulenden und klingelnden Daddelmaschinen schweigen, am Aschermittwoch zum Beispiel. Und diese Automatenruhe – darauf liegt ein Segen – regt die Beredsamkeit derer an, die in der Regel in stummer Zwiesprache mit einem Apparat Stunde über Stunde verbaseln.

Einer der Kandidaten ist »der Opa«, so nennen ihn alle. Er residiert in einem Wohnheim und hat oft Langeweile. Deshalb bombardiert er André, der ihm das Zimmer putzt und für ihn einkauft, mit derb anzüglichen, ähem, Film­sequenzen aus dem Netz. »Gib ihm bloß net deine Nummer!« instruierte mich André mal.

Ward »der Opa« zum Seven Bistro chauffiert und zu einer der Glücksspielkisten bugsiert, hat der Mann Beschäftigung, verschickt keine Pornos und hält insgesamt still.

Am Aschermittwoch jedoch blieb ihm nichts anderes übrig, als jeden vollzuquallen. Mich traf’s mit der Mitteilung: »Mei’ Vadder hat immer g’socht: ›Trink nie aus aam leera Glos!‹«

»Guter Ratschlag!« sagte ich, da wandte sich sofort Christian an mich, der der im Ort unter Jüngeren recht verbreiteten tristen Stoffmützen-Coolness frönt. Er sei vorgestern in Erlangen gewesen, schwallte er auf mich ein, Erlangen sei vollgestopft mit Erkältungs­viren, das merke man schon, wenn man in dieses saudumme Erlangen hineinfahre, überall stinke es nach Viren und diesem ganzen Scheiß.

Seit wann Viren und dieser ganze Scheiß röchen, wollte ich ihn fragen, griff, während ich diesen Fragevorsatz fasste, zu meinem Weizenkelch und schmiss ihn fast um. »Erst trinken, dann verschütten!« parierte Christian mein Beinahemissgeschick.

Es war etwas nach vier. Ich ging mit meinem Bier vor die Tür. Der erste Tag des Jahres in der Sonne. Der Motorradmechaniker aus W., der neulich am Stammtisch erzählt hatte, er finde keine Azubis, weil nicht einer der Bewerber ohne »Wellness-Raum« anfangen möge, knatterte heran, hielt kurz und rief zu mir herüber: »Der Führer sagt: ›Du sollst mehr trinken!‹« Genau. Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, gewissermaßen der Rechtsnachfolger Hitlers, hatte bei einem öffentlichen Auftritt ja kundgetan: »Leute, ihr müsst mehr saufen!« Tradition verbindet.

Ein paar Minuten später watschelte Johannes der Mesner über die Straße. Er trug einen CSU-Schal. Er komme vom Politischen Aschermittwoch in Passau. Er sei »voll wie eine Haubitze«, würgte er heiser hervor, klasse sei der Herr Ministerpräsident und sowieso alles spitze gewesen, fünfzehn Euro die Busfahrt, all inclusive, also Saufen und Fressen frei, drei Söder-Kebabs habe er verschlungen.

Drinnen kamen wir auf die Historie der christlichen Kirchen zu sprechen. »Die Evidenzdichte der Kirchengeschichte ist dünn«, sagte Johannes. Ich schaute ihn mit einer Mischung aus Erstaunen (ob solcher Klarsicht) und Bewunderung an. In das kurze Innehalten rumpelte der wie ein krimineller Putin-Schweröltanker befüllte Roland hinein, bellte: »Jeder weiß Bescheid, und keiner wehrt sich!« – die derzeit beste politische Analyse –, und drehte anschließend grölend und unartikuliert Liedverse anstimmend vollends frei, bis André von dem stand-, nein: sitzhaft röhrenden Platzhirsch die Faxen dicke hatte und ihn anblaffte: »Du kriegst etz a Maulsperre!«

Es sind diese Betriebspauseneskalationen, die ich ästimiere. Am Ostersamstag taumelte ein Drughead, den ich zunächst für geistig behindert gehalten hatte, ins Lokal und faselte eine ausfransende Geschichte über sein angeblich verlorengegangenes Fahrrad herunter. André ließ ihn eine Weile gewähren und beschied ihm dann: »Gucken! Lernen! Hau ab!«

Auch am Gründonnerstag, am Karfreitag und am Ostersamstag hat Automatenruhe zu herrschen. Warum das am Tag der Auferstehung, der heuer auf ein pikantes Datum fiel (mein alter Frankfurter Kumpel Tetzl kriegte es hin, seinen ersten Sohn so zu zeugen, dass er am Geburtstag unseres geliebten GröFaZ die Welt erblickte), nicht gilt, vermochte mir niemand darzulegen.

Steve brachte vorzügliches Gulasch vorbei. Ich nahm es in einem Behältnis mit nach Hause. Dort zog ich die Münchner Ausgabe aus dem Regal und las den »Osterspaziergang«: »Im Tale grünet Hoffnungs-Glück.« »Überall regt sich Bildung und Streben.« »Hier ist des Volkes wahrer Himmel.«

Im Garten schwatzten die Spatzen. Ein Rotkehlchen inspizierte nervös den Hof. Ich sah den ersten Hausrotschwanz des Jahres. Ich grüßte ihn.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. Mai 2025 um 21:13 Uhr)
    Endlich wieder was von Jürgen Roth! Nebenbemerkung zu Herrn Heuss: Der war nicht nicht nur Rechtsnachfolger von Herrn Hitler, der hat auch für dessen Ermächtigungsgesetzte gestimmt.
    • Leserbrief von Dr. Jürgen Roth (12. Mai 2025 um 14:00 Uhr)
      Lieber Leser, danke für Ihre zugeneigte Zuschrift. Und natürlich haben Sie recht mit der Bemerkung zu Heuss. Ich wollte den Text bloß nicht überladen. Es gibt übrigens wunderbare Ausfälle von Kohl gegen Heuss, des Tenors, der Mann sei ja unmöglich, weil ständig betrunken gewesen. Und das vom betrunkensten Kanzler aller Zeiten. Jedenfalls werde ich mich bemühen, diese Kolumne weiter zu befüllen, sofern mich die wunderbaren (keine Ironie!) Herren im Feuilleton weiter rummurksen lassen. Grüße in die kaputte Welt: Jürgen Roth

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