Menschliches, Allzumenschliches
Von Maximilian Schäffer
Treffen sich sechs abgehalfterte Superhelden … Klopf, klopf! Wer ist da? Yelena Belova, Winter Soldier, Red Guardian, Captain America, Taskmaster, Ghost und Sebastian Stan heißen sie. An dieser Stelle hätte Marvel, sprich die Walt Disney Company, es gerne, dass dem Leser das gesamte Markenuniversum, das MCU, noch einmal von hinten aufgerollt wird. Schließlich spielen sich die Erklärungen der einzelnen Superkräfte wie Charaktermerkmale und Familienverhältnisse der Helden nicht nur im Kino ab. Um das Ganze »Wer, wie, was?« wirklich zu umreißen, muss man auch die Comics lesen und vor allem Fernsehserien gucken, inzwischen bestimmt auch Videospiele spielen. Nur um dann in den einzelnen Biographien auf Logiklöcher astronomischer Ausmaße zu stoßen. So ist das auch in »Thunderbolts*«.
Eine angebliche Russin ist Protagonistin im neuesten MCU-Bums. Die Engländerin Florence Pugh spielt Yelena Belova. Die Ninjaslawin wurde in dem supersinistren russischen Geheimdienstprogramm »Red Room« als Waisenmädchen zur Attentäterin ausgebildet. Mit ganz viel Schlägen und ganz viel Grau – so wie es in Russland eben einmal alltäglich war und weiterhin ist. Ihr Vater heißt Red Guardian alias Alexei Shostakov. Er ist der ehemalige Staatssuperheld der Sowjetunion. Einst winkte er neben Gorbatschow, jetzt säuft er in seiner Messiewohnung im Bademantel Wodka. Gespielt wird er von David Harbour, der seinen schönsten Russenakzent auspacken darf usw. Yelena also erfüllt Aufträge der CIA und ist einsam, weil ihre Adoptivschwester, Natasha Romanoff alias Black Widow, tot ist. Und weil sich ihr Vater lange nicht gemeldet hat. Durch einen Zufall trifft sie auf die ganzen anderen Superhelden mit Problemchen. Walker alias Captain America wurde in irgendeiner Folge irgendeiner Serie unehrenhaft entlassen. Seitdem ist er ein schlechter Vater für seinen kleinen Sohn. Was die anderen drei konkret für Probleme haben, wird im Film nicht ganz ersichtlich. Der emotionale Konsens allerdings: Hier treffen sich allzu menschliche Übermenschen.
Um das grundsätzliche Verliererdasein des dreckigen halben Dutzends zu unterstreichen, wird am laufenden Band Selbstironie inszeniert. Ständig reißen die Figuren selbstreferentielle Kalauer, wie sie für Markenprodukte mittlerweile typisch sind. Das ist so, als wenn Autokraten über ihre eigene Willkür lachen. Oder Trickbetrüger ihre minderwertige Ware als unbrauchbar vorführen.
Werbung haben die Zuschauer genug gesehen, doch jede Selbstentzauberung, und sei sie noch so offensichtlich, macht dem ständig verarschten Konsumenten die Welt wieder ein bisschen versöhnlicher. Im Film, der auch die Kulturmenschen aus den Feuilletons ansprechen möchte, wird neben Kampfszenen und Explosionen sogar (in komprimierter Form) Kierkegaard zitiert: »Es ist wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den andern Satz: dass vorwärts gelebt werden muss.« So geschieht es in dieser Simulation von Tiefe und Menschlichkeit für 126 Minuten.
Der Depressivste von allen heißt Bob (Lewis Pullman). Was ihn in die Nähe der Superhelden bringt, weiß zunächst keiner. Er einsteigt einem kryogenischen Sarg und scheint darin lange geschlafen zu haben. Bob hat die Gabe, andere in die Szenarien ihrer jeweiligen Traumata zu entführen. Yelena sieht sich im Wachtraum als Kind für einen Mord verantwortlich. Walker säuft in seinen Flashbacks Bier im Kinderzimmer und ätzt die Ehefrau an. Abseits dieser rätselhaften telepathischen Talente scheint Bob aber ein recht ordinärer Slacker zu sein. So ein fleischgewordener Jugendzimmerkleiderbügel mit Vorliebe für billiges Gras, Nirvana und selbstgeritztem Barcode auf dem Unterarm. Doch weit gefehlt. Einmal im CIA-Hauptquartier angekommen, enthüllt die karrieregeile Chefin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) die wahre Natur des unscheinbaren Langhaarigen. Bob ist DER Übersuperheld mit allen erdenklichen Kräften und praktischer Unverwundbarkeit. Schnell gerät er außer Kontrolle. Und auf einmal sind die restlichen Loser gefragt. Die Thunderbolts sind geboren. Und werden bald die neuen Avengers.
»Thunderbolts*«: Regie: Jake Schreier, USA 2025, 126 Min., bereits angelaufen
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