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Aus: Ausgabe vom 05.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Musik

Richtung Quellgebiet

Lautmalerisch, aber nicht pittoresk: Die griechische Sängerin Savina Yannatou zelebriert eine zeitgenössische Wassermusik
Von Andreas Schäfler
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Wichtigste zeitgenössische Sängerin Griechenlands: Savina Yannatou

Wasser in all seinen Aggregatszuständen und Wirkungsweisen, vom Lebenselixier bis zur todbringenden Gewalt, aber auch als Sinnbild für Reinigung oder Medium von Taufe und Wiedergeburt, besungen und instrumental gefeiert an den Gestaden rund ums Mittelmeer: »Watersong« hat Savina Yannatou ihre neue Platte genannt. Hier und da geht es auch ein Stück flussauf- und landeinwärts Richtung Quellgebiet. Man kommt weit herum, sogar Ausreißer in den Irak und nach Irland stehen auf der Reiseroute, und zum guten Schluss landet man beim Gospel »Wade in the Water«. Das programmatische Plansoll von Weltmusik ist also schon mal erfüllt.

Nun muss man bei Savina Yannatou auch in der musikalischen Umsetzung keine faulen Kompromisse befürchten. Sie gilt nach Maria Farantouri als wichtigste zeitgenössische Sängerin Griechenlands, hat wie jene mit Eleni Karaindrou gearbeitet, der maßgeblichen griechischen Komponistin für Film und Theater, und ist bei uns vor allem als Interpretin der sephardisch-jüdischen Lieder aus Saloniki bekannt geworden. Primavera en Salonico heißt ihr griechisches Ensemble noch immer, obwohl es sich seit längerem auch Musikstilen aus ganz anderen Regionen Europas und der Welt widmet. Bei Yannatou gehört überdies die frei improvisierte Musik zum Betätigungsfeld, doch an experimentellem Wagemut und motivischem Ideenreichtum steht ihr das Sextett in nichts nach. So gelingt diese zeitgenössische Erweckung tradierter Volkslieder quasi per Handstreich und wird einem nicht zum hundertsten Mal als brave Versöhnung von Tradition und Moderne angedient.

Von Beginn weg ist man im Bann von der Stimme Yannatous’, die schon in den sparsam instrumentierten ersten paar Stücken enorm wandlungsfähig und markant ihre Register zieht – manchmal auch im Duett mit Lamia Bedioui aus Tunesien, die eine ganz andere Stimmfärbung mitbringt, aber ebenfalls gern ins Risiko geht. Spätestens auf halber Strecke, als Kyriakos Gouventas in »The Immortal Water« zu einem fulminanten Geigensolo ansetzt, verausgaben sich dann mehr und mehr auch die Begleitmusiker, manchmal wird es überbordend musikantisch.

Die meisten Arrangements sind in den Händen von Kostas Vomvolos, der die Kompositionen mal mit dem Kanun (der orientalischen Zither), mal mit dem Akkordeon grundiert – ein versierter, aber auch sehr behutsamer Gerüstbauer. Die Solisten erlauben sich neben kühnen melodischen Ausflügen auch wirkungsvolle kleine Zweckentfremdungen ihrer Instrumente. Da überlappen und überblenden sich reine Töne und diffuse Geräusche und lassen manch ursprünglich festgefügten Liedaufbau mit allerlei Geklöppel, Überblaseffekten und Stimmkoloraturen in einem pointillistischen Schlussbild erstrahlen.

Hier eine jahrhundertealte Volksweise aus Nordmazedonien, da eine klagende Beduinenmelodie, dort eine kleinasiatische Rembetiko-Reminiszenz – all das wird mit dieser wachen und offenen Haltung gespielt und gesungen, die sonst vor allem guten Jazz auszeichnet. Dem kommt dank Michalis Siganidis’ wuchtigen Kontrabass-Ostinati »Kalanta of the Theophany« sehr nah. Eine Preziose ist auch Robert Johnsons »Full Fathom Five« aus der Bühnenmusik für Shakespeares »Der Sturm«, in dem der Perkussionist Dine Doneff (übrigens auch ein ausgezeichneter Kontrabassist) ein mit dem Bogen gestrichenes Waterphone einsetzt.

Man überlässt sich gern diesem Reigen von Fragen und Antworten, die nicht nur zwischen den beiden Sängerinnen hin und her gehen, sondern auch mal zwischen Yannatous Stimme und der Nay von Harris Lambrakis. Der markiert mit seiner dunkeltönenden Rohrflöte auch einige Sologlanzpunkte, während der Oud-Spieler Yannis Alexandris mit dem wunderschönen Intro zu »The Immortal Water« seinen exponierten Auftritt hat. Alles in allem ein überzeugender musikalischer Prozess – unvergleichlich lautmalerisch, aber nie pittoresk.

Savina Yannatou und Primavera en Salonico: »Watersong« (ECM)

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