Israel verstrickt sich in Widersprüche
Von David Siegmund-Schultze
Die israelische Zeitung Haaretz hat erneute Unwahrheiten in der offiziellen Version zu der Tötung von 15 palästinensischen Rettungskräften Ende März aufgedeckt. Nachdem die New York Times (NYT) am 4. April ein Video veröffentlicht hatte, das die ursprüngliche Version der israelischen Armee klar widerlegte, wuchs der internationale Druck, und eine neue Darstellung der Geschehnisse musste her. Aber auch die ist von Falschbehauptungen durchzogen. Weil auf dem Video zu erkennen ist, dass unbewaffnete Rettungskräfte den Ort erreichten, an dem wenige Stunden zuvor bereits Kollegen von ihnen erschossen wurden, konnte nun nicht mehr behauptet werden, sie hätten sich den Soldaten »verdächtig« genähert. In dem Video ist dann noch zu hören, wie minutenlang Salven auf die Sanitäter niedergehen und einer von ihnen in Todesangst immer wieder das muslimische Glaubensbekenntnis aufsagt.
Bei der Präsentation der internen Ermittlungen am 20. April hieß es, es habe »Fehler« einzelner gegeben; der stellvertretende Kommandeur der verantwortlichen Einheit wurde entlassen. Doch der »Ethikkodex« der Armee sei nicht verletzt worden. Die »Versäumnisse« seien das »tragische und unerwünschte Ergebnis einer komplexen Kampfsituation« gewesen, sagte der pensionierte Generalmajor Joaw Har-Ewen bei der Vorstellung der Ergebnisse. Weiter wurde behauptet, »die Streitkräfte haben nicht wahllos« oder aus kurzer Distanz geschossen und sechs der Getöteten seien Hamas-Kämpfer gewesen – ohne Beweise zu liefern.
Die jüngste Enthüllung von Haaretz, die auf unter Verschluss gehaltenem Beweismaterial der internen Untersuchung beruht, liefert ein anderes Bild. Dort heißt es: »Die Soldaten schossen dreieinhalb Minuten lang ununterbrochen auf die Fahrzeuge – sogar aus nächster Nähe – und luden ihre Waffen mehrmals nach, obwohl die Helfer versuchten, sich zu identifizieren.« Einige der Rettungskräfte hätten versucht zu fliehen. Auch sie waren am Ende tot. Aus dem internen Material geht außerdem hervor, dass die verantwortliche Einheit kurz vor der Tat einen Bericht über den Verkehr von Krankenwagen auf der Straße, an der sie sich befand, erhielt.
Für vieles von dem, was aus dem geleakten Material hervorgeht, hatten Palästinenser und UN-Mitarbeiter vor Ort bereits Beweise geliefert. Ein Augenzeuge des Palästinensischen Roten Halbmonds (PRCS) sagte etwa aus, dass der erste angegriffene Krankenwagen klar als solcher erkennbar war und wahllos auf ihn gefeuert wurde. Und die Autopsie der aus dem Massengrab geborgenen Leichen ergab, dass die Schüsse sie aus kurzer Distanz trafen. Der PRCS verurteilte die neueste israelische Version dementsprechend umgehend, wies auf »Widersprüche« und »Lügen« hin und forderte eine unabhängige Untersuchung des augenscheinlichen Kriegsverbrechens.
Der Fall steht exemplarisch für die deutsche Berichterstattung zum Gazakrieg: Erst als die NYT das Offensichtliche auf dem Silbertablett servierte, nämlich dass die israelische Armee am 23. März unbewaffnete palästinensische Rettungskräfte tötete, machten Medien hierzulande das Verbrechen groß zum Thema. Während palästinensische Stimmen eine Woche lang mit ähnlich stichhaltigen Beweisen dasselbe sagten, war es den Medienmachern bis dahin nur eine mit viel Skepsis garnierte Randnotiz wert. Angaben von Palästinensern wird offenbar per se nicht die gleiche Glaubwürdigkeit zugesprochen.
Die deutsche Regierung sah sich ebenfalls erst nach der NYT-Veröffentlichung veranlasst, eine Aufklärung durch Israel zu fordern. Es seien »schockierende Vorwürfe«. Ob die Armee in diesem oder anderen Fällen Kriegsverbrechen begangen hat, wollte Christian Wagner, Sprecher des Auswärtigen Amts, nicht beurteilen. Die von israelischer Seite unverhohlen ausgesprochenen Kriegsverbrechen hat die Bundesregierung noch nie als solche benannt. Denn dann würde sie ja zugeben, sich mit den Waffenlieferungen an Israel der Beihilfe schuldig zu machen. Ganz so, wie es Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag von Nicaragua in seiner Klage vorgeworfen wird: dass es »nicht nur seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, den Völkermord zu verhindern«, sondern auch »zur Begehung von Völkermord« beigetragen habe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Khaled Abdullah/REUTERS29.04.2025
Ansarollah unbeirrt
- Mohammed Torokman/REUTERS26.04.2025
Nakba als tägliche Erfahrung
- Jehad Alshrafi/AP Photo/dpa23.04.2025
Todeszone Gaza
Mehr aus: Ausland
-
Anfang mit Schrecken
vom 30.04.2025 -
Kommunisten siegreich
vom 30.04.2025 -
Drusen in Syrien unter Beschuss
vom 30.04.2025 -
Erfolgreich aufgeholt
vom 30.04.2025 -
Widerstand in Puerto Rico ungebrochen
vom 30.04.2025 -
USA massakrieren Migranten
vom 30.04.2025