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30.04.2025, 15:30:52 / Ausland
US-Politik

Anfang mit Schrecken

Die ersten hundert Tage der Präsidentschaft Donald Trumps sind rum
Von Felix Bartels
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Im antiken Griechenland pflog man zu besonderen Gelegenheiten die Opferung von 100 Ochsen. Donald Trump braucht keine Tiere, er hat Tage. Einhundert an der Zahl, am Dienstag hat er sie vollgemacht. Was etwa sieben Prozent der laufenden Amtszeit markiert. Wir haben also noch einiges vor uns, und die hinter uns gebrachten 100 fühlen sich bereits an, als hätte der König den ganzen Hof geschlachtet. Das Tempo, in dem das alles passiert, verdankt sich dem Umstand, dass der Präsident sich mit Kleinigkeiten wie Gesetzgebung nicht aufhält. Obgleich er in beiden Kammern die Oberhand hat, bringt er seine Politik kaum durch den Kongress, er regiert via Notverordnung. Allein in diesen ersten Tagen seiner zweiten Amtszeit hat er 130 Executive Orders unterzeichnet, womit er zwar weit hinter Franklin D. Roosevelt (3721) und Woodrow Wilson (1803) liegt, die allerdings während der beiden Weltkriege regierten, Roosevelt zudem verteilte seine Erlasse über vier Amtszeiten. Barack Obama, zum zeitgenössischen Vergleich, erließ 276 präsidiale Verordnungen. In acht Jahren etwa zweimal so viele wie Trump in 100 Tagen.

Es ist mittlerweile zum Binsenspruch geworden, dass Trump den Staat wie ein Unternehmen führt. Lästige Mehrheitsbildung braucht ein CEO nicht. In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Wirtschaftssektor jene Insel, die Autokraten glücklich macht. Was Trump von seinen Vorgängern unterscheidet, ist lediglich, dass er das kapitalistische Prinzip eins zu eins auf den Regierungsbetrieb überträgt. Er unterscheidet sich nicht durch andere Grundsätze, allenfalls durch Abwesenheit von Scham.

Die Tradition, Amtszeiten von US-Präsidenten nach 100 Tagen mit einer Bilanz zu versehen, scheint heute wie aus einer anderen Welt. Man kann einen Menschen, der Sätze allein auf ihre Wirkung hin ausspricht, nicht an seinen Versprechen messen. Den Ukraine-Krieg wollte er binnen 24 Stunden lösen. Was anderen Präsidenten lebenslangen Spott eingebracht hätte, nimmt man bei Trump mit kaum mehr als Achselzucken zur Kenntnis. Anhänger wie Gegner wissen, er redet halt so. Man kann ihn nicht beim Wort nehmen, wörtlich ohnehin nicht.

Gleichwohl dürfte ihm einiges bei seinen Anhängern zu schaffen machen. Man misst den Mann nicht an dem, was er versprochen hat, dafür an dem, was er bewirkt. Zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht verhält sich das unweigerlich so. Auch – und vielleicht gerade – republikanische Wähler reagieren empfindlich auf ökonomische Lagen. Trump ist angetreten, eine Volkswirtschaft wieder nach vorn zu bringen, der es zum Zeitpunkt des Wahlkampfes so schlecht gar nicht ging. Besser jedenfalls als in Trumps erster Amtszeit, besser auch als jetzt.

Schutzzölle. Wie harmlos das klingt, allein, in der Sache liegt, wie zu sehen derzeit, das Potential einer Weltwirtschaftskrise. Die Frage, ob die Trump-Administration das nicht begreift oder ihr es schlicht gleich ist, kann vernachlässigt werden. Ihre Zollpolitik entspringt einer ideologischen Prägung. Trump denkt Ökonomie kaum global, er denkt national. Als Neoliberalismus in einem Lande sozusagen. Daher sieht er die USA in den internationalen Handelsbeziehungen permanent übervorteilt und müht sich, den vermeintlichen Nachteil auszugleichen, während er tatsächlich die Bevorteilung ausbaut. Oder ausbauen würde, wenn sein Konzept denn funktionierte.

Und hier wird es paradox. Nur einer, der Ökonomie rein national denkt, kann den Blowback übersehen, der unvermeidlich kommt. Die globale Wirtschaft hängt ab von der Konsumnation USA. Und die Angst wird hier zum Mitspieler. Ein instabiler Finanzmarkt kann riesige Auswirkungen auf die produktiven Sektoren der Wirtschaft haben, und der Finanzmarkt misst Reichtum nicht in realem Vermögen, sondern in Marktkapitalisierung. Nicht nur Gewinn ist eine Größe, sondern auch Gewinnerwartung. Trumps Zollpolitik hat zu einer weltweiten Verunsicherung geführt, damit zum Fall der Kurse und damit zu einer veritablen Krisenlage. Das Bewusstsein bestimmt hier das Sein.

Paradox wird es auch für die ökonomischen Binnenverhältnisse des Landes. Gewiss spült die flächendeckende Anhebung von Importzöllen zunächst Geld in den Staatshaushalt. Geld allerdings, das den meisten derer, die Trump gewählt haben, nicht zugutekommen wird. Es sollte sich sozial und kulturell nicht auswirken, weil die Agenda der Subsidiarität Subventionen und Sozialsystem eher abbaut als erhöht. Mit Steuersenkungen dagegen kann gerechnet werden, doch die wird die große Mehrheit der Trump-Wähler, von denen die wenigsten mittlere und große Unternehmen besitzen, kaum bemerken. Erst recht vor dem Hintergrund, dass die erhobenen Zölle bei einer stark importabhängigen Nation wie den USA in vielen Bereichen zum Anstieg der Preise führen müssen, was Trumps Wahlversprechen, die Inflation zu senken, im Wege steht.

Berücksichtigt man das ideologische Gepräge, ließe sich vermuten, dass die Trump-Administration kalkuliert, vermittels der Zölle ihrer einheimischen Wirtschaft gegenüber der exportierenden ausländischen zum Vorteil verhelfen zu können. Einfacher: das Zeug, das man gegenwärtig importiert, wieder selbst herzustellen, während Rohstoffe weiterhin ausgeführt werden sollen. Dieses irgendwie an Colberts Merkantilismus erinnernde Konzept funktioniert allerdings grundsätzlich nicht, da die USA selbst unter den Bedingungen eines Protektionismus nicht mit den günstigen Produktionsbedingungen in zum Beispiel asiatischen Ländern konkurrieren können. Und erst recht funktioniert es nicht über Nacht. Weite Bereiche des Konsums sind seit langer Zeit ausgelagert, es fehlen im Land schlichtweg die gewachsenen Strukturen, die Lücken so schnell zu füllen, dass eine Krise verhindert werden kann. Immerhin hat Trump mit einem teilweisen Moratorium darauf reagiert, was danach passiert, weiß vermutlich nicht mal er selbst.

Weniger paradox sind die Handlungen auf dem Feld der internationalen Beziehungen. Trumps Invektiven gegen Kanada, sein expansiver Griff nach Grönland, seinen Anspruch auf den Panamakanal, den er notfalls militärisch durchzusetzen drohte, stehen in der Tradition des US-Imperialismus. Dass Trump andererseits äußerte, den Friedensnobelpreis erhalten zu wollen, hat mehr mit seiner Eitelkeit denn mit seiner Politik zu tun.

Auch seine Bemühungen am Ukraine-Krieg haben imperialistischen Charakter. Man sollte vielleicht den reichhaltigen Gossip übergehen, die Shitshow im Oval Office etwa mit ihren durchaus unterhaltsamen Momenten. Dass da der Ex-TV-Star Trump dem Ex-TV-Star Selenskij sagt, der Eklat sei eine »gute TV-Show« gewesen, dass das Gespräch eine Reaktion auf Selenskijs Einmischung in den US-Wahlkampf und wohl auch eine verspätete Retourkutsche im Zusammenhang des indirekt durch Selenskij ausgelösten ersten Impeachment-Verfahrens gegen Trump war, all das sind persönliche Noten. Dahinter liegt ein kühles Interesse.

Trump interveniert, um die Ukraine, insonders bei Rohstoffen und Energiewirtschaft, auszuschlachten. Auch das ein klassisches Element des Imperialismus, der nicht bloß direkten Krieg als Mittel kennt. Desgleichen scheint die hierzulande gern gepflogene Vorstellung einer »Nähe zu Putin« einem vulgären Verständnis internationaler Konflikte zu entspringen. Russland ist interessant als Handelspartner, und Handel nichts anderes als Konkurrenzkampf. Zudem dürfte es darum gehen, Russland vom Hauptfeind China zu lösen. Zwischen Moskau und Beijing besteht weder politisch noch ökonomisch eine organische Einheit, ein temporäres Zweckbündnis vielmehr, zu dem Russland, dem der westliche Absatz abhandenkam, gezwungen war und das für China einige Vorteile hat. In die Formel gebracht scheint Trump einer globalen Blockbildung entgegensteuern und die festen Gefüge in einem Ensemble bilateraler Beziehungen auflösen zu wollen. Dealmaking ist die Zärtlichkeit der Imperialisten.

In der Migrationspolitik konnte Trump harte Hand zeigen, wenngleich auch hier nicht so hart wie zuvor angekündigt. Aussichtslos scheint sein Vorhaben, das Gesetz abzuschaffen, demnach Kinder, die in den USA geboren werden, automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten. Und auch die Ankündigung, binnen kurzer Zeit Millionen Menschen abzuschieben, war so nicht umzusetzen. Ebenfalls darf davon ausgegangen werden, dass die Praxis, Eltern und Kinder in Lagern voneinander zu trennen, nicht wiederholt wird. Sie war in der ersten Amtszeit nach öffentlichem Druck – für einige Familien aber zu spät – eingestellt worden. Dennoch hat Trump die bereits unter Biden verschärfte Einwanderungspolitik um ein weiteres verschärft, und er kann sich hier auf die Mehrheit der Bevölkerung berufen. Nach einer ABC-Umfrage befürworten 53 Prozent der Amerikaner Trumps Maßnahmen. Lästige Detailfragen wie das Einhalten von Gesetzen interessieren dabei weniger. In einigen Fällen gelang es den exekutiven Behörden, Abschiebungen trotz ad hoc gefällter Gerichtsurteile durchzubringen. Man schuf einfach Tatsachen, indem man dem Urteil mit Expressabschiebung zuvorkam. Womit der Präsident und seine Gehilfen sich streng genommen strafbar gemacht haben. Im Wissen aber, dass der Gesetzesbruch eines Mannes, der im Oval Office sitzt, nicht zum Strafvollzug führen wird. Wenn Chuck Norris ins Wasser steigt, wird nicht Chuck Norris nass, das Wasser wird Chuck Norris. Wenn Trump Präsident wird, wird nicht Trump Präsident, der Präsident wird Trump.

Fast unnötig zu erwähnen, dass in den vergangenen 100 Tagen unzählige Klimaverordnungen zurückgenommen, fossile Energiequellen wieder verstärkt gefördert und das Pariser Klimaabkommen für nicht bindend erklärt wurden. Fast beiläufig auch die Meldung, dass die USA aus der WHO ausgetreten sind, was der fehlenden Beiträge wegen nicht zuletzt Menschen in Afrika zu spüren bekommen. Erstaunlich ruhig war es auch um die von Elon Musk geleitete DOGE-Behörde, die nach Schätzungen bislang die Entlassung von 200.000 Menschen veranlasst haben soll. Dass solche Entwicklungen kaum Skandal machen, ist folgerichtig, wenn der Skandal Normalität geworden ist.

Das gilt auch für die Geschlechterpolitik, die in den großen Komplex der Kulturkämpfe fällt. Mit der Executive Order 14168 diktiert die Trump-Regierung, wie Fragen des Geschlechts zu sehen seien. Die Anordnung wird in vom Staat verantworteten Strukturen hart und im Rest der Gesellschaft weich durchgesetzt. Bei inländischen Behörden und beim Militär gibt es sogar Anweisungen zur Denunziation von Fällen, in denen die Direktive nicht vollständig umgesetzt wird. Auch wenn die Auffassung, dass es nicht mehr als zwei Geschlechter gebe, wissenschaftlich korrekt ist – politisch ist sie falsch. Sie hindert Menschen daran, sich zu ihrer biologischen Natur zu verhalten, ihrer Identität Ausdruck zu verleihen, nimmt ihnen das Recht zu entscheiden, wie sie angesprochen werden sollen. Wie immer man zur ungenügenden Unterscheidung von Geschlecht und Geschlechtsidentität steht, dass Selbstbestimmung in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen den Vorrang vor unveräußerlichen Eigenschaften erhalten hat, war ein Fortschritt. Trump, der, soweit es ihn persönlich betrifft, mit Selbstbestimmung viel anfangen kann, hat diesen Fortschritt abgewickelt.

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