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Aus: Ausgabe vom 25.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Investitionsrisiken

Karotten für Esel

Bertelsmann-Studie bekräftigt »Potential« für westliche Anleger in der Ukraine. Realität vorsorglich ausgeblendet
Von Klaus Fischer
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Einer der größten Schätze der Ukraine ist der landwirtschaftlich genutzte Grund und Boden

Bertelsmann-Stiftung und Handelsblatt werben für mehr Investitionen in der Ukraine. Trotz des anhaltenden Krieges hätten internationale Firmen das Land nicht aufgegeben. »Sie sehen den künftigen Wiederaufbau als Chance« schrieb am Donnerstag die in Düsseldorf erscheinende Wirtschaftszeitung. Zusammen mit dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche habe die Stiftung eine entsprechende Studie erstellt, die dem Handelsblatt vorab vorlag. Wichtigste Erkenntnis daraus: In der Ukraine stecke Potential. Vor allem »sechs Bereiche können für Investoren interessant sein«.

Damit bekräftigt die Erhebung zunächst einen der beiden Hauptgründe für das westliche Engagement in der früheren Sowjetrepublik (der zweite ist der Versuch der USA, den Einfluss Russlands und Chinas globalstrategisch zurückzudrängen). Es geht um die Nutzung bzw. Übernahme wirtschaftlicher Ressourcen. So verfüge das Land »über große, nicht erschlossene Vorkommen an Rohstoffen«. Das betreffe 117 der 120 am häufigsten verwendeten Industriemineralien weltweit, wie beispielsweise Titan, Nickel, Lithium und seltene Erden. Geschätzter Marktwert: bis zu 7.100 Milliarden Euro. Auch Erdgas sei in bedeutendem Umfang verfügbar.

Einer der größten Schätze der Ukraine ist der landwirtschaftlich genutzte Grund und Boden – vor allem die fruchtbaren Schwarzerdegebiete im östlichen Teil des Landes. Hier lenkte die Studie den Blick vor allem auf die »niedrigen Kosten«. Laut der Förderorganisation Ukraine Invest lägen die Monatslöhne in diesem Sektor im Schnitt bei 400 US-Dollar (rund 370 Euro). Auch Strom- und Kraftstoffe seien »günstig«. Die Agrarwirtschaft repräsentiert laut Studie den größten Bereich des verarbeitenden Sektors.

Auch die Metallindustrie sei beachtenswert – sie sei »einer der ältesten und größten Industriesektoren«. Der Maschinenbau sei zwar hart vom Kriegsbeginn betroffen. Nicht zuletzt in der Rüstungsindustrie aber bescheinigt die Studie »Wachstumsmöglichkeiten«. Augenmerk solle auch der ukrainischen IT-Branche gelten. In diesem Bereich sind laut Studie fast 290.000 Personen beschäftigt. Das seien doppelt soviel wie 2017.

Ganz besonders hoben die Studienautoren die Bedeutung der Ukraine für die Generierung »erneuerbarer Energien« hervor. Laut der Internationalen Energieagentur sei sie sogar ein »Schlüsselland für die europäische und globale Energiesicherheit«. Besonderes Potential böte dabei wegen der starken Agrarindustrie die Energieerzeugung aus Biomasse.

Man kann zunächst resümieren: Der Ausbeutung ukrainischer Ressourcen durch das westliche Kapital sind nicht allzu viele Grenzen gesetzt. Die EU stellt großzügige Fördermittel bereit. Ein aktueller »Investitionsrahmen« ist mit einem Finanzpaket von insgesamt 9,3 Milliarden Euro ausgestattet. Und wichtiger noch: Am 11. und 12. Juni sollen in Berlin bei einer »Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine« Investitionsprogramme verabschiedet werden.

Allerdings gelingt es nicht, die Realität völlig auszublenden. So seien deutsche Investoren zögerlich, hieß es von der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer. »Investitionsgarantien sind zwar eine gute Sache, aber selbst, wenn man sie hat: Es ist ja immer noch Krieg im Land«, zitierte das Handelsblatt deren Geschäftsführer Reiner Perau.

Und genau deshalb kommt die Studie eher als politischer Muntermacher daher. Fast scheint es, als wolle man dem zaudernden Kapital eine Mohrrübe vor die Nase halten. Doch es sieht so aus, als wollten dessen Repräsentanten nicht unbedingt die Esel sein.

Fakt ist: Der Ukraine-Feldzug läuft schlecht für den Westen. Die im vergangenen Sommer medial beschworene Gegenoffensive Kiews wurde im Keim erstickt. Zehntausende Soldaten und Söldner starben, wurden verstümmelt oder gerieten in Gefangenschaft. Die russische Armee hat die operative Initiative seitdem nicht mehr aus der Hand gegeben. Die von Washington lancierten »Sanktionen« zeigten zwar Wirkung, konnten aber weniger Schaden anrichten, als beabsichtigt. Das Resultat: Russlands Wirtschaft wuchs kräftig, während die Ukraine ohne westliche Hilfen ihre Existenz als Staat längst hätte aufgeben müssen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. Mai 2024 um 10:52 Uhr)
    Zunächst einige Kleinigkeiten: Wir haben den Boxer Klitschko als Wladimir kennengelernt, genauso wie die russischsprachige jüdische Familie ihren Nachwuchs als Wladimir Selenski und nicht Wolodymyr, wie sie sich heute nennen. Einen hübschen Werbespot haben die boxenden Gebrüder Klitschko in den 2000er Jahren noch gedreht. Während der Bauchmensch Wladimir an einem leichten Produkt kaut, bittet ihn sein älterer Bruder Witali, eher ein kopfgesteuerter Bürger, auch mal zu probieren. Doch statt einer Milchschnitte wirft ihm der Genussmensch Wladimir ein dickes Buch auf den Liegestuhl. Witali nimmt das Werk auf und sagt: »Oh, Tolstoi – schwere Kost. Da kein ukrainischer Schriftsteller!« Diese Fakten zu betonen, gehört zur Geschichte, über die wir in der Ukraine sprechen. Entgegen den Behauptungen des Artikels bin ich nicht überzeugt, dass die in der Ukraine vorhandenen Bodenschätze oder die Landwirtschaft der primäre Grund dafür waren, das Land gegen Russland zu spalten, da diese Ressourcen weltweit ebenso zu finden sind. Meiner Theorie nach war es die Wolfowitz-Doktrin, die gegen die aufstrebende EU mit russischer Energie und Absatzmärkten Anfang des neuen Jahrtausends gerichtet war. Ein friedliches europäisches Haus von Lissabon bis Wladiwostok war für die USA ein Albtraum. Weder die USA noch China hätten eine echte Chance gegen diese geballten Möglichkeiten gehabt. Also musste die ukrainische Grube gegraben werden, um Russland von Europa zu trennen, koste es, was es wolle. Es scheint nun eine Weile her zu sein, dass die Sache durch den Ukrainekrieg vom Tisch ist. Die Hauptleidtragenden sind die Ukrainer, dann die Europäer und natürlich auch die Russen, da sie durch ihre Kriegswirtschaft erneut von einer friedlichen Entwicklung abgehalten werden. Die USA bleibt der lachende Dritte, um ihre Weltmacht noch eine Weile zu erhalten.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (25. Mai 2024 um 07:08 Uhr)
    Dass immer noch Krieg im Land ist, hält internationale Konzerne, vor allem aus den USA, aber auch aus Europa, nicht davon ab, sich bereits jetzt bedeutende Teile der landwirtschaftlichen Ressourcen der Kornkammer unter den Nagel zu reißen. Und die Deutschen helfen fleißig mit. Der Leiter des »Leibnitz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien« mit Sitz in Halle (Saale), Dr. Alfons Balmann, ist gleichzeitig Verwaltungsrat der IMC S.A. mit Sitz in Luxemburg. Dieses Unternehmen hat sich in der nördlichen Schwarzerderegion 120 Tausend Hektar fruchtbaren Boden unter den Nagel gerissen. In einer Finanzpräsentation vom April 2024 wurde der Anstieg des operativen Gewinns um 223 Prozent auf 4,43 Millionen USD im Vergleich zum Vorjahresquartal berichtet. Bei einem Durchschnittslohn von einem ukrainischen Arbeiter von etwas über 370 Euro ist das schon hier Ausbeutung pur. Und dieses Unternehmen verkauft zum Beispiel Weizen für 144 USD (132,68 Euro) pro Tonne auf dem Weltmarkt. In Deutschland sind die Erzeugerpreise bei Weizen zwischen 218 und 232 Euro pro Tonne. Hier wird mit deutscher Hilfe die europäische Landwirtschaft kaputt gemacht. Wen wundert es da, dass vor allem die polnischen Bauern auf die Barrikaden gehen? Aber auch den deutschen Bauern wird sicherlich angst und bange, wenn sie an eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine denken. Und warum will man in der EU nicht endlich an eine Beendigung des Krieges ran? Weil gerade das Donezbecken die erwähnten Bodenschätze enthält. Und die der Kontrolle Russlands überlassen? Anstatt endlich wieder vernünftige Handelsbeziehungen zu Russland herzustellen, was sicherlich mit jedem Tag Krieg schwerer wird, und damit auf normalem Weg diese Rohstoffe zu erwerben, erinnert man sich in Westeuropa seiner kolonialen Geschichte – es geht nur mit Blut und Eisen, mit Toten, Verwundeten und Verstümmelten. Und mit Taschen voller Geld für die Shareholder der Rüstungsindustrie und eben solcher internationalen Konzerne wie IMC. Das war ein Beispiel.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. Mai 2024 um 20:59 Uhr)
    Wie groß ist der Anteil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in der Ukraine, der bereits vom Ausland kontrolliert wird? Und: Werden im Jahr 2027 nur noch 145.000 Personen in »der ukrainischen IT-Branche« beschäftigt sein?

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