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Aus: Ausgabe vom 25.05.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Ukraine-Krieg

Welchen Raub wollen wir uns leisten?

G7-Finanzminister streiten über zahme oder harte Enteignung russischer Vermögenswerte
Von Lucas Zeise
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G7-Finanzministertreffen am Freitag in Stresa

Vor zwei Jahren »klauten« die NATO- und G7-Staaten die finanziellen Vermögenswerte der russischen Zentralbank, die diese als sogenannte Bankguthaben bei deren Zentralbanken unterhielten. Das Wort »klauen« (oder auch »rauben, stehlen, entwenden, enteignen«) wurde damals von den Akteuren nicht verwendet. Das ist insofern plausibel, weil das Eigentum der russischen Zentralbank damals im Frühjahr 2022 auch von den Akteuren formal nicht in Frage gestellt wurde.

Statt dessen wurde das viele Geld (etwa 300 Milliarden Euro), wie es damals genannt wurde, lediglich »eingefroren«. Die russische Zentralbank konnte auf Anweisung der westlichen Regierungen nicht mehr über ihre Konten bei beispielsweise der Deutschen Bundesbank, der Banque de France und auch bei deren Tochtergesellschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) verfügen. Eingefroren heißt zwar, die unbestrittene Eigentümerin, die russische Zentralbank kann nicht über dieses Eigentum verfügen, allerdings auch niemand anders. Die Räuber schreckten davor zurück, das russische Eigentum zu konfiszieren, selber nach Belieben darüber zu verfügen, etwa es an die Armen ihrer Länder zu verteilen, die eigenen Staatshaushalte zu sanieren oder das viele Geld an die Ukraine als Kredit oder zinslosen Zuschuss für deren Waffenkäufe weiterzureichen.

Vor einem Jahr begann die Diskussion unter den Wirtschaftskriegern, ob und wie genau das passieren könne. Da, wo der administrative Raubüberfall tatsächlich stattfand, bei den Zentralbankern, fanden sich die am wenigsten scharfen Töne: Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, warnte, wenn man vom »Einfrieren der Guthaben zu ihrem Konfiszieren und ihrer Weitergabe übergehe, muss man sich das sehr sorgfältig ansehen«. Denn das bedeute »einen Bruch der internationalen Rechtsordnung, die man eigentlich schützen will und von der man schließlich erwartet, dass Russland und alle anderen Länder sie respektieren sollten«.

Ganz anders die Finanzministerin der USA, Janet Yellen. Sie hatte sich vorgenommen, beim Finanzministertreffen der G7 im italienischen Stresa am Freitag und Sonnabend eine harte Lösung der Nutzung des russischen Geldes zugunsten der Ukraine durchzusetzen. Die weiche Lösung, bisher von der EU unter Führung von Frankreich und Deutschland bevorzugt, sieht so aus: Nur die Zinserträge, die auf die russischen Guthaben anfallen, sollen in die Unterstützung der Ukraine fließen. Sie fallen vor allem bei der Brüsseler Wertpapierabrechnungsstelle Euroclear an. Es handelt sich bisher um jährlich einstellige Milliardenbeträge. »Es geht um die Erträge aus den eingefrorenen Vermögenswerten. Es geht nicht um die Vermögenswerte an sich«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin.

Die harte Haltung der US-Regierung ist einfallsreicher. Danach werden die Erträge aus den russischen Guthaben kalkulatorisch aufsummiert. Die Summe wird dann als Sicherheit oder Pfand für eine von der Ukraine emittierte große Anleihe verwendet, die von den westlichen Geberstaaten garantiert wird. Klassische Kriegsfinanzierung eben. Die Kriegsbeute dient als Pfand für die Schuldenübernahme. Dazu muss man sie sich allerdings auch formal aneignen.

Washington ist auch deshalb für die harte Lösung, weil die in den USA eingefrorenen Guthaben, aus denen dann Zinsen resultieren, viel geringer sind als in den europäischen Russland-Feindstaaten. Der wichtigere Grund dürfte sein, dass eine Waffenstillstands- oder gar Friedenslösung im Ukraine-Krieg um so schwieriger wird, je mehr harte Fakten wie eine endgültige Eigentumsübertragung geschaffen werden. Die G7-Finanzminister werden vermutlich bei ihrem Treffen an diesem Wochenende noch keine Einigung erzielen.

Die in Berlin und Brüssel favorisierte, kleine zahme Lösung ist selbstverständlich auch weder klein noch zahm. Der Moskauer Regierungssprecher Dmitri Peskow hat recht und den schlichten Alltagsverstand auf seiner Seite, wenn er vermerkt: »Selbst die kleinere Option ist für uns nichts anderes als eine Enteignung«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. Mai 2024 um 18:24 Uhr)
    Der Artikel behandelt die umstrittene Frage, wie mit den »eingefrorenen Vermögenswerten« der russischen Zentralbank der »Wertewesten« umgegangen werden soll. Diese Diskussion wirft mehrere juristische, politische Machtfragen auf und langfristige Konsequenzen für die internationale Finanzordnung, die es wert sind, detailliert betrachtet zu werden. Zuerst ist prinzipiell festzuhalten, dass nur der UN-Sicherheitsrat die Autorität hat, Sanktionen mit globaler Gültigkeit zu verhängen, die von allen UN-Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssten. Eine Enteignung ohne rechtliche Grundlage könnte Präzedenzfälle schaffen, die das Vertrauen in internationale Abkommen und rechtliche Normen untergräbt! Politisch gesehen könnte eine harte Enteignung zu einer Verschärfung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland führen. Dies könnte die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts weiter erschweren, da Russland jegliche dauerhafte Konfiszierung seiner Vermögenswerte als schweren Affront und Provokation ansehen würde. Die Entscheidung, ob eine harte oder weiche Lösung verfolgt wird, hat somit weitreichende geopolitische Implikationen. Sollten die G7-Staaten eine harte Enteignung durchführen, könnte dies das Vertrauen anderer Länder in die internationale Finanzordnung und in den Westen als Verwalter globaler Finanzsysteme erschüttern. Staaten könnten zukünftig zögern, ihre Vermögenswerte in westlichen Institutionen zu lagern, aus Angst vor politisch motivierten Enteignungen. Dies könnte die globale Wirtschaftsordnung destabilisieren und die Machtbalance weiter verschieben.

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