Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Sa. / So., 15. / 16. Juni 2024, Nr. 137
Die junge Welt wird von 2788 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Aus: Ausgabe vom 24.05.2024, Seite 4 / Inland
Asylpolitik

Rücksichtslos »rückführen«

Zahl abgeschobener Asylsuchender im ersten Quartal 2024 deutlich gestiegen. Hauptzielländer waren Nordmazedonien und Türkei
Von Kristian Stemmler
4_NEU.jpg
Beamte führen einen Mann aus Afghanistan zum Flughafen Frankfurt am Main ab (4.12.2018)

Er wolle »im großen Stil« abschieben. Mit diesem Versprechen übernahm Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Herbst rechte Forderungen. Offenbar zeigen die daraufhin von der Ampelkoalition beschlossenen Gesetzesverschärfungen Wirkung. Die Zahl der Abschiebungen in der BRD ist im ersten Quartal des laufenden Jahres um mehr als ein Drittel gestiegen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten Clara Bünger (Die Linke) hervor, aus der die Neue Osnabrücker Zeitung am Donnerstag zitierte.

Insgesamt wurden demnach von Anfang Januar bis Ende März 4.791 Menschen ohne Aufenthaltsstatus aus Deutschland abgeschoben. Damit ist die Zahl der »Rückführungen« im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres um 34 Prozent gestiegen. Damals wurden 3.566 Personen ausgewiesen. Der Antwort der Regierung zufolge lag bei der »Rücknahme von Staatsangehörigen« Nordmazedonien zwischen Januar und März 2024 an erster Stelle, 483 abgeschobene Asylsuchende kamen aus dem Balkanstaat. Auf dem zweiten Platz rangiert die Türkei, dorthin wurden 449 Staatsbürger abgeschoben. Dahinter folgen Georgien (416), Afghanistan (345) und Serbien (312).

Mit Ausnahme von Afghanistan haben die Menschen aus den genannten Ländern statistisch nur geringe Chancen, Asyl zu erhalten. Bei türkischen Staatsangehörigen liegt die Schutzquote, also der Anteil der positiven Asylentscheidungen, bei unter neun Prozent. Bei Georgiern werden sogar mehr als 99 Prozent der Asylanträge abgelehnt. Im ersten Quartal des Jahres gab es nach Angaben der Bundesregierung außerdem 1.515 sogenannte Überstellungen nach der Dublin-Regelung. Dabei handelt es sich um Personen, die in das EU-Land zurückgebracht wurden, in dem sie bereits einen Asylantrag gestellt hatten. Im Rahmen der Dublin-Verordnung schob Deutschland 414 Geflüchtete nach Österreich ab, 240 Personen wurden nach Frankreich überstellt.

Um die »irreguläre Migration« zu bekämpfen, hatte die Bundesregierung im Herbst 2023 Gesetzesverschärfungen beschlossen, die »Rückführungen« erleichtern. So kann, wer das Land verlassen muss, inzwischen 28 statt zehn Tage in Ausreisegewahrsam festgehalten werden. Überdies darf die Polizei mehr Räumlichkeiten in Geflüchtetenunterkünften durchsuchen. Trotz der Verschärfungen kommen viele Abschiebungen nicht zustande. So scheiterten im ersten Quartal dieses Jahres 7.048 geplante Deportationen. Überwiegend waren die Betroffenen nicht mehr auffindbar, oder es lag an geplatzten Flügen. Seltener spielten medizinische Gründe eine Rolle. In 77 Fällen weigerten sich die Piloten, ausreisepflichtige Personen mitzunehmen.

Linke-Politikerin Clara Bünger kommentierte die Zahlen mit scharfer Kritik an der Bundesregierung. Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung sprach sie von einem »Abschiebewahn«, der aufhören müsse. Besonders kritisierte die Abgeordnete, dass die Bundespolizei bei 272 Abschiebungen sogenannte »Hilfsmittel der körperlichen Gewalt« anwendete. Darunter werden etwa Fesseln, Reiz- und Betäubungsstoffe gefasst. »Die moralischen Hemmungen scheinen auf der Behördenseite zu schwinden«, so Bünger. Ermuntert durch die Politik werde der Umgang mit den Geflüchteten bei den Abschiebungen zunehmend rücksichtsloser.

Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte, ist die Zahl der Asylsuchenden erneut gestiegen. Zum Ende des vergangenen Jahres seien im Ausländerzentralregister 3,17 Millionen Menschen als Schutzsuchende erfasst worden und damit 95.000 mehr als im Vorjahr. Die meisten, 977.000 Menschen, kommen nach Angaben des Bundesamtes aus der Ukraine, allerdings nahm die Zahl im Vergleich zum Vorjahr um drei Prozent ab. Weitere große Gruppen stammen aus Syrien (712.000 – plus sechs Prozent), aus Afghanistan (323 000 – plus 13 Prozent), dem Irak (200 000 – minus fünf Prozent) und der Türkei (152 000 – plus 51 Prozent). Diese fünf Nationalitäten machten insgesamt fast drei Viertel aller Schutzsuchenden aus.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Ähnliche: