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Aus: Ausgabe vom 27.04.2024, Seite 4 / Inland
Atomausstieg

Politische Laufzeitverlängerung

Minister nehmen in Ausschüssen zu Kritik an Entscheidungen im Zusammenhang mit Atomausstieg Stellung. Forderungen nach Untersuchungsausschuss
Von Kristian Stemmler
Das inzwischen stillgelegte Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld (23
Debatte nach Ausstieg: Das bereits 2015 stillgelegte Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (23.4.2015)

In gleich zwei Sondersitzungen von Bundestagsausschüssen haben Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke am Freitag Entscheidungen rund um den deutschen Atomausstieg verteidigen müssen. Recherchen des rechtsliberalen Magazins Cicero über angebliche Manipulationen im Vorfeld des Atomausstiegs hatten zuvor für Unruhe gesorgt. Auf Antrag der Unionsfraktion kamen die Ausschüsse für Klimaschutz und Energie sowie für Umwelt zu den Sondersitzungen zusammen, um den Minister und die Ministerin zu befragen. Habeck wies die Vorwürfe zurück. Er selbst und sein Ministerium hätten die Frage eines möglichen Weiterbetriebs der deutschen Atomkraftwerke sehr frühzeitig von sich aus geprüft, sagte er nach der Sitzung des Klimaausschusses.

Auf Grundlage von freigeklagten Akten des Wirtschaftsministeriums aus den Jahren 2022 und 2023 hatte Cicero berichtet, dass Bewertungen der Fachebene innerhalb des Umwelt- und Wirtschaftsministeriums womöglich so geändert wurden, dass ein längerer Weiterbetrieb der Reaktoren als unmöglich erschien – obwohl Experten ihn durchaus für möglich erklärt hätten. Habeck seien die internen Bedenken gegen den Atomausstieg nicht vorgelegt worden. Die Unterlagen erzählten »eine andere Geschichte, als es kolportiert wurde«, erklärte Habeck dazu. Tatsächlich seien das Ministerium und er selbst schon vor dem Beginn des Ukraine-Krieges »aktiv auf die Betreiber der Atomkraftwerke zugegangen, mit der Frage: Können eure Dinger länger laufen? Und hilft es uns was?« Diese Beratungen hätten schon kurz vor dem russischen Angriff begonnen, sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Nachfrage.

Die Auskunft der AKW-Betreiber sei im Frühjahr 2022 gewesen, dass die noch vorhandenen Brennelemente der letzten drei deutschen Atomkraftwerke zum Jahresende ausgebrannt wären, so Habeck weiter. Später im Laufe des Jahres seien diese Information korrigiert worden: »Da hieß es dann, die können doch noch zwei, drei, vier, fünf Monate länger laufen, und entsprechend wurde dann auch noch einmal die Laufzeit verlängert.« Die Versorgungssicherheit habe für ihn »absolute Priorität«, sagte der Minister, und sein Haus habe »ohne Denkverbote, allerdings natürlich immer auf der Basis von Fakten, von Daten und auch von Rechtsnormen, gearbeitet«.

Im Entwurf eines Vermerks hatten Fachleute des Wirtschaftsministeriums Anfang März die Frage aufgeworfen, ob ein Weiterbetrieb nicht sinnvoll sein könnte, Argumente dafür aufgeführt und eine Prüfung empfohlen. Dieses Papier erreichte Habeck nach eigenen Angaben damals nicht. Es ging aber laut Wirtschaftsministerium später in einen Prüfvermerk ein, in dem Wirtschafts- und Umweltministerium sich gegen eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke aussprachen.

Aus Sicht der Sprecherin der Grünen-Fraktion für Klimaschutz und Energie, Ingrid Nestle, sind die Vorwürfe gegen Habeck mit der Sondersitzung »öffentlich, transparent und vollständig ausgeräumt«. Auch Umweltministerin Steffi Lemke wies Vorwürfe zurück. Ihr Haus habe intensiv geprüft, ob die Atomkraftwerke länger laufen könnten, sagte die Grünen-Politikerin. Im Ergebnis seien die Laufzeiten verlängert worden. Ihr gehe es darum, »dass wir die nukleare Sicherheit in unserem Land jederzeit gewährleisten können«.

Der Unionsfraktion reichten die Antworten von Lemke im Umweltausschuss nicht. »Wir haben Fragen gestellt. Die Antworten waren unzureichend«, sagte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Steffen Bilger nach der Sitzung. Nach dem Cicero-Bericht hatten mehrere CDU-Politiker sowie Sahra Wagenknecht (BSW) einen Untersuchungsausschuss gefordert. Der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mark Helfrich, sprach vor dem Sonderausschuss gegenüber Bild von einer »Täuschungsaktion«. Diese müsse in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden.

Der FDP-Energieexperte Michael Kruse gab Habeck und Lemke keine volle Rückendeckung. Im Ausschuss habe man neue Unterlagen erhalten, die man intensiv prüfe. Vorher hatte FDP-Bundesvorstandsmitglied Martin Hagen Habeck gegenüber Bild sogar zum Rücktritt aufgefordert. Der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, widersprach seinem Parteifreund: Es ergebe keinen Sinn »über irgendwelche Rücktritte zu philosophieren«. Im Moment sei Habeck kein Fehlverhalten nachzuweisen.

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