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Aus: Ausgabe vom 27.04.2024, Seite 2 / Inland
Patentrecht

»Ein Viertel des Saatguts in seiner Hand«

Hauptversammlung von Bayer: Gentechnik, Monopole und Rechtsunsicherheit für Bauern. Ein Gespräch mit Annemarie Volling
Interview: Fabian Linder
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Liebevoll: Diese Pflanzenkeimlinge werden in der Crop-Science-Division der Bayer AG einzeln in Petrischalen aufgezogen

Zusammen mit der Coordination gegen Bayer-Gefahren organisierte die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) am Freitag anlässlich der Hauptversammlung des Chemie- und Pharmakonzerns eine Protestkundgebung vor dessen Zentrale. Wohin steuert Bayer, etwa in Sachen Saatgut?

Bayer hat jetzt schon knapp ein Viertel des weltweit vermarkteten Saatguts in seiner Hand und meldet immer mehr Patente auf neue und alte Gentechnikpflanzen, aber auch auf konventionelle Züchtungen an. Das Problem ist, dass die konventionelle und ökologische Züchtung untergraben wird, da die Züchter keinen Zugang mehr zu den genetischen Ressourcen, also zum Saatgut haben. Man sorgt über Patente dafür, dass Saatgut nicht mehr frei verfügbar ist und schafft sich ein Monopol. Abnehmer müssen Lizenzverträge schließen oder es wird ihnen untersagt, damit weiterzuarbeiten. Es sorgt also auch für eine unglaubliche Rechtsunsicherheit in diesem Patentdschungel, in dem nur noch Patentanwälte durchblicken. Das kostet nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld.

Wie sehen solche Lizenzverträge aus?

Das wissen wir nicht, da es sich immer um Geheimverträge handelt. Wir haben vor einigen Jahren den Vertrag für eine gentechnisch veränderte Kartoffel zu Gesicht bekommen. Von der Aussaat bis zur Ernte gehörte die Gentechnikkartoffel dem Konzern, und Nachbau (Aussaat des Ernteguts) wurde verboten. Eigenes Erntegut wiederzuverwenden ist Jahrhunderte altes Recht der Bauern. Bei Patenten kann es durchaus passieren, dass der Konzern am Ende auch die Hand aufhält und Patentgebühren verlangt, wenn die daraus gewonnen Produkte im Laden an den Endverbraucher gehen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist nach wie vor die Monsanto-Übernahme und damit der Vertrieb von Glyphosat. Was ist der aktuelle Stand hierbei?

Die Übernahme dieses Produkts bei der Megafusion mit Monsanto ist mittlerweile auch ein großes Problem für den Konzern. Glyphosat birgt Gefahren auch für die Anwender. In den USA gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Klagen und Urteilen zu Schadenersatz. Wir sind dafür, dass der Konzern die von Glyphosat verursachten Schäden an Menschen, Tier und Umwelt in voller Höhe begleichen muss. Wir forderten bereits bei der Übernahme, dass sich der Konzern von diesem Mittel verabschieden muss. Das macht Bayer aber nicht, weil man sich nach wie vor große Profite verspricht.

Wie verändert sich die Arbeit ihrer Mitglieder durch die großen Saatgutkonzerne?

Dadurch, dass vier Konzerne 50 Prozent des weltweiten Saatguts in ihrer Hand haben, wird die Ausrichtung der Züchtung sehr einseitig auf Profitmaximierung und Konzernstrategien ausgerichtet. Etwa damit Monokulturen besser wachsen können oder Produkte für die Industrieverwertung optimiert werden, die aber für kleine und mittlere Betriebe schwierig sind. Wir brauchen eine vielfältige Züchterlandschaft, die Saatgut züchtet, das vor Ort in den unterschiedlichen Regionen angepasst ist.

Welche politische Regulierung ist Ihrer Ansicht nach nötig?

Es muss das Kartellrecht geändert werden, um stärker durchzugreifen, wenn solche Konzerne ihre Marktmacht voll ausüben. Wir sehen das bei den neuen Gentechnikverfahren. Hier setzt Bayer zusammen mit der EU-Kommission darauf, dass die derzeitige Gesetzeslage für die neuen Gentechnikpflanzen abgeschafft wird. Etwa darin, dass sie nicht mehr auf ihre Risiken geprüft werden sollen und Hersteller nicht mehr verpflichtet werden sollen, Nachweisverfahren zu liefern. Damit wäre eine Rückverfolgung und infolgedessen eine Haftung nicht mehr möglich. Darüber hinaus will man die Schutzmöglichkeiten für die Bauern abschaffen, um Gentechnikverunreinigungen abzuwehren. Standortregister, Anbauabstände, Reinigungsauflagen sowie Haftungsregelungen sollen wegfallen. Die Politik muss dafür sorgen, dass auch neue Gentechnik nach bestehenden Gesetzen reguliert werden.

Weshalb gibt es bei solchen Fragen keinen größeren bäuerlichen Protest?

Bei der Fusion damals gab es viel Widerstand. Die AbL war allerdings die einzige bäuerliche Organisation, die gegen die Fusion Widerspruch eingelegt hat. Die Spitze des Bauernverbandes hat andere Interessen und paktiert mit den Gentechnikkonzernen.

Annemarie Volling, Gentechnikexpertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (27. April 2024 um 09:31 Uhr)
    Dass nach den Erfahrungen aus der Unterhaltungsbranche, den Skandalen im IT-Bereich und nun in der Lebensmittelproduktion, auch von Linken, noch immer keine grundsätzliche Kritik am Patentrecht geäußert wird, ist erstaunlich.

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