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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Energiepolitik

Geregeltes Abzocken

EU-Parlament bringt neue Strommarktrichtlinie auf den Weg. »Reform« soll Märkte stabilisieren und Verbraucher vor Mondpreisen schützen
Von Ralf Wurzbacher
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Prägen ganze Landstriche: Trassen für die Stromversorgung rund um das Kohlekraftwerk Niederaußem

Einen Energiepreisschock wie den nach Beginn des Ukraine-Krieges soll es künftig nicht mehr geben. Das zumindest verspricht ein Gesetzesvorhaben auf Ebene der Europäischen Union, für das am vergangenen Donnerstag das EU-Parlament grünes Licht gegeben hat. Die Abgeordneten votierten mehrheitlich für einen im Vorfeld ausgehandelten Kompromiss zur Reform des Strommarktes, die noch der abschließenden Bestätigung durch den EU-Rat bedarf. Die Zustimmung der Mitgliedstaaten gilt indes als Formsache. Verbraucher bekämen damit »transparente und verständliche Stromrechnungen und das Recht auf flexible Stromtarife«, kündigte nach dem Beschluss der Europaabgeordnete Michael Bloss von der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz (EFA) an.

Das übergeordnete Ziel des neuen Regelwerks, über das im Vorfeld lange gerungen wurde, ist die Stabilisierung der Energiemärkte sowie der Schutz von Kunden und Versorgern vor plötzlichen Kostenschüben im Falle kommender Krisen. Auf seiten der Verbraucher will man dies insbesondere durch ein Mehrangebot von Verträgen zum Fixpreis gewährleisten, die gegen ständige Kostenschwankungen quasi immunisieren. Derlei gibt es heute schon, aber bisher ohne gesetzliche Garantie. Die neue Richtlinie wird es den Energieunternehmen überdies untersagen, die Geschäfts- oder Vertragsbedingungen einseitig zu ändern. Zudem können die EU-Staaten Verbote für das Abstellen des Stroms erlassen. Kontrakte zum Festpreis sind weniger risikobehaftet, können aber langfristig durchaus mehr ins Geld gehen, weil die Versorger mögliche politische und ökonomische Unwägbarkeiten einpreisen müssen. Die bislang gängigen Angebote mit am Markt orientierten und dynamischen Preisen wird es auch weiterhin geben. Die Wahlmöglichkeiten werden allerdings größer.

Für mehr Beständigkeit sollen desgleichen langfristige Lieferverträge zwischen Regierungen und Stromerzeugern sorgen. Dadurch könnten abrupte Marktverwerfungen für die Endverbraucher abgepuffert und die rigide Kopplung des Strom- an den Gaspreis zumindest aufgeweicht werden, hoffen die Verantwortlichen. Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine und dem weitgehenden Importstopp für russisches Erdgas sind die Energiepreise europaweit durch die Decke gegangen. Grund dafür ist die Anbindung des Strom- an den Gaspreis im Rahmen des Merit-Order-Systems. Dabei bestimmt der teuerste, in der Regel auf fossilen Brennstoffen basierende, Energieträger den Gesamtstrompreis. Das vielfach kritisierte Instrument, das maßgeblich zur Profitreiberei der Konzerne beiträgt, wollen die EU-»Reformer« allerdings dem Prinzip nach beibehalten.

Verändert werden dagegen die Förderbedingungen unter anderem für erneuerbare Energieträger in Gestalt sogenannter Differenzverträge (Contracts for Difference – CFD). Bisher gibt es für neue Anlagen einen garantierten festen Abnahmepreis. Sobald die Marktpreise aber darüber liegen, kassieren die Betreiber extra Gewinne, die insbesondere im Windschatten des Ukraine-Krieges gewaltige Ausmaße annahmen. Abhilfe soll ein ab 2027 wirksames zweistufiges System aus einem garantierten Mindestpreis für die Abnahme und einem Maximalpreis leisten. Liegt der aktuelle Strompreis unter dem Minimum, zahlt der Staat die Differenz und subventioniert somit den Erzeuger. Steigen die Marktpreise über das Maximum, müssen die Mehreinnahmen an den Staat abgegeben werden. Was mit den Überschüssen passiert, ist den Nationalstaaten freigestellt. Sie können sie an die Verbraucher und Unternehmen umverteilen oder die Stromerzeuger subventionieren, die dann ihre Preise senken. Bei dauerhaft hohen Strompreisen soll ferner ein Krisenmechanismus zum Einsatz kommen. Die Mitgliedstaaten könnten dann mit eigenen Eingriffen dagegen vorgehen.

Die Reform ist umstritten, da mit den CFD künftig nicht nur erneuerbare Energieträger, sondern vor allem und auf Drängen Frankreichs die Atomkraft gefördert werden darf. Deutschland wurde bei dieser Frage überstimmt. Sonderregeln wurden zudem bei Hilfen für Kohlekraftwerke beschlossen, die bei Umweltschützern und in Reihen von Bündnis 90/Die Grünen auf Widerstand stießen.

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