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Aus: Ausgabe vom 15.04.2024, Seite 8 / Abgeschrieben

Maulkorb für Palästina-Solidarität

Demonstration in Solidarität mit Palästina in Berlin
Demonstration in Solidarität mit Palästina in Berlin

Die DKP erklärte am Sonnabend zum Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin:

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) protestiert gegen das haltlose Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin. »Wenn es um die Solidarität mit Palästina und den Widerstand gegen den Völkermord in Gaza geht, übertritt der Verfolgungswille der Herrschenden ständig neue Grenzen«, erklärt der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele. »Von Anfang an war deutlich, dass der Kongress verhindert werden sollte. In Berlin sollte um keinen Preis offen über den Genozid und die deutsche Mitschuld daran gesprochen werden. Schon vor dem Kongress kam es zu einer medialen Hatz auf die Veranstalter. Aktivisten mussten Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Doch die Einschüchterungen liefen ins Leere. Deshalb wurde die Saalveranstaltung willkürlich zur Demonstration umgedeutet, von der Polizei überwacht, gewaltsam gestört und schließlich verboten.«

Die DKP verurteilt diesen erneuten Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und ist solidarisch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die an der Ausübung ihrer demokratischen Rechte gehindert wurden. »Was in Berlin geschehen ist, steht in einer Reihe mit anderen Versuchen, Kriegsgegner und Regierungskritiker mundtot zu machen. Dazu gehören auch die Maulkorbparagraphen 130 und 140 des Strafgesetzbuches, die zunehmend angewendet werden, um Menschen zu kriminalisieren, die sich für Frieden mit Russland und Freiheit für Palästina einsetzen. All das ist Teil des reaktionär-militaristischen Staatsumbaus, den wir schon seit längerem verfolgen und dem wir uns solidarisch und in breiten Bündnissen entgegenstellen müssen«, so Köbele.

In einem Kommentar auf der Website der russischen Botschaft in Deutschland vom Freitag zu Äußerungen des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius heißt es:

Wenn Berichte in den deutschen Medien zutreffen, hat der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius den Konflikt in der Ukraine mit der Annexion der Tschechoslowakei durch Nazideutschland im Jahr 1938 verglichen und vorausgesagt, dass Wladimir Putin nicht aufhören werde, so wie Hitler zu seiner Zeit nicht aufhören wollte. Wir halten die »Parallelen« des Ministers für völlig unzutreffend.

Das erklärte Ziel des Naziregimes in bezug auf die Sowjetunion war bekanntlich ein Vernichtungskrieg, der auch die Vernichtung der Zivilbevölkerung unseres Landes zum Ziel hatte. (…) War der beschämende Münchner Pakt eine Folge der Beschwichtigungspolitik der führenden westlichen Länder gegenüber Hitler, so hat der kollektive Westen heute alles darangesetzt, um Russland eine »strategische Niederlage« zuzufügen. Übrigens kämpften auch 1941 viele europäische Länder in Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion.

Während sich der russische Präsident mehrmals öffentlich zu einer Verhandlungslösung des Ukraine-Konflikts bekannt hat, die bereits im Frühjahr 2022 auf dem Tisch lag, hat der Westen Kiew auf einen Kampf bis zum »siegreichen Ende«, oder, mit anderen Worten, bis zum letzten Ukrainer eingestellt. Schließlich ist es der Westen, der in letzter Zeit regelmäßig dazu aufruft, sich auf einen »Krieg« gegen Russland vorzubereiten. Ist es etwa Russland, das auf höchster militärischer Führungsebene über die Möglichkeit diskutiert, die zivile Infrastruktur Europas mit Marschflugkörpern anzugreifen? (…)

In einer Erklärung der Organisatoren des Palästina-Kongresses in Berlin-Tempelhof vom Sonnabend, der am Freitag kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst wurde, heißt es:

Die staatlichen Repressionen gegen den Palästina-Kongress zeigen, dass der deutsche Staat nicht will, dass wir seine Mitschuld am Genozid in Gaza ansprechen und anklagen. Während die deutsche Regierung schamlos und vor den Augen der Welt einen Völkermord unterstützt, werden demokratische Rechte hier in Deutschland ausgehebelt, um Proteste von Jud:innen und Palästinenser:innen, die einen Waffenstillstand fordern und für ein Ende der Besatzung Palästinas ihre Stimme erheben, zum Schweigen zu bringen.

Gestern wurde der Palästina-Kongress von der Polizei gestürmt und verboten. Die Entscheidung ist falsch und gefährlich. Das Verbot müsste alle alarmieren, die sich für demokratische Freiheiten, Antirassismus und Menschenrechte einsetzen. Die Polizei argumentiert, es bestünde die Gefahr, dass es zu »volksverhetzenden, antisemitischen Rufen, Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten« kommen könnte. Statt den Grundlagen rechtsstaatlichen Handelns zu folgen und diese nur zu bestrafen, wenn ggf. eine Tat auch wirklich begangen wurde, reicht hier die Vermutung einer Behörde im Vorfeld, um ein Veranstaltungsverbot durchzusetzen. Sie haben den Livestream des Videos des Wissenschaftlers Dr. Salman Abu Sitta nach 1,5 Minuten unterbrochen und die Kontrolle über den Saal gestürmt. Dabei fielen keine verbotenen Äußerungen, die Polizei handelte mit völliger Willkür.

Gestern wurde außerdem Dr. Ghassan Abu Sitteh die Einreise nach Deutschland verweigert. Er wurde am Flughafen Berlin festgenommen. Dr. Ghassan Abu Sitteh ist nicht dieselbe Person wie Dr. Salman Abu Sitta, was die Medienvertreter:innen in Deutschland auch noch durcheinander gebracht haben. Er ist ein palästinensischer Arzt mit Spezialisierung auf plastische und rekonstruktive Chirurgie sowie Rektor der Universität Glasgow. Während der Schrecken der israelischen Bombardierung von Gaza verbrachte Abu Sitteh 43 Tage in Gaza mit »Ärzte ohne Grenzen« und arbeitete dort im Al-Schifa Krankenhaus. Er wollte seine Erfahrungen auf dem Kongress teilen. Es ist skandalös, dass nicht mal von den persönlichen Erfahrungen, die Ärzte in Gaza gemacht haben, hierzulande geredet werden darf.

Zwei Mitglieder des Vereins Jüdische Stimme wurden von der Polizei festgenommen. Leider sind wir an solche Bilder bereits gewöhnt: Jüdische Menschen in Deutschland, die festgenommen werden, weil sie gegen den in Gaza laufenden Genozid protestieren. Mit dem Vorwurf des Antisemitimus stehen Palästinerser:innen ohnehin unter Generalverdacht, doch hier in Deutschland können auch Jud:innen »antisemitisch« sein.

In der Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung markiert das Verbot des Kongresses eine neue Stufe, weil das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht nur eingeschränkt, sondern für mehrere Tage völlig ausgehebelt wurde. Und das sind nur ausgewählte Highlights vom repressiven Verhalten der Polizei und des Staates. Wenn man gefragt hätte, wie man den Kongress international bekannt machen könnte, wäre dies eine gute Antwort gewesen.

Die Innenministerin Nancy Faeser lobt die Polizei für ein hartes Durchgreifen beim Kongress, während internationale Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch das Verhalten der Polizei im Auftrag des deutschen Staates bereits massiv kritisiert haben. Deutschland steht unter starker Kritik im Hinblick auf die brutale Intervention und das Verbot des Palästina-Kongresses. Die internationale Medienlandschaft ist erschreckt und verwundert, man vergleicht Deutschland inzwischen mit Ländern wie der Türkei oder Russland. Wir prüfen juristische Maßnahmen und bitten auch in diesem Zusammenhang weiterhin um Spenden. Die Infos dazu findet ihr auf unserer Webseite.

Wir rufen auf zu einer Demonstration gegen das Verbot des Palästina-Kongresses. Kommt heute um 14.00 Uhr zum Neptunbrunnen! Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen!

Wir fordern immer noch und immer wieder:

– Die Aufhebung des Verbotes des Palästina-Kongresses

– Schluss mit der Kriminalisierung und Repressionen gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung in Deutschland. Sofortiger Stopp jeder Kriminalisierung palästinensischer Organisationen und Individuen sowie aller Abschiebungen

– Sofortige Einstellung jeglicher militärischer, diplomatischer und wirtschaftlicher Unterstützung Israels durch den deutschen Staat sowie ein umfassendes Militärembargo

– Vollständige Reparationen Israels, Deutschlands und weiterer Verbündeter an das palästinensische Volk

– Nein zu der Verwendung der IHRA-Definition durch jegliche Institutionen oder staatliche Behörden

– Sofortige Aufhebung jeglicher Beschränkungen humanitärer Hilfe nach Gaza und die volle Ausfinanzierung der UNRWA

– Sofortige Öffnung aller Grenzübergänge von Rafah bis Allenby. Reißt die Apartheidsmauern ein.

– Sofortiger Waffenstillstand, sofortiger Rückzug der israelischen Armee

– Durchsetzung des Rückkehrrechts der palästinensischen Geflüchteten sowie Ende des seit über 76 Jahren andauernden zionistischen Siedlerkolonialismus und ethnischer Säuberung des gesamten besetzten Palästinas.

Es bleibt dabei: Deutschland unterstützt einen Genozid, und wir klagen es an!

Link zur PK der Veranstalter: https://vimeo.com/event/4229321

DiEM 25 und MERA 25 verurteilten am Freitag das Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin:

DiEM 25 und seine politische Partei in Deutschland, MERA 25, verurteilen die Entscheidung der deutschen Polizei und Regierung, den Palästina-Kongress zu beenden.

Die Polizei stürmte das Gebäude und drehte den Strom ab, als ein Video des palästinensischen Forschers Salman Abu Sitta ausgestrahlt wurde. Sein Sohn, der Chirurg und Rektor der Universität von Edinburgh, Dr. Ghassan Abu Sitta, dem am Berliner Flughafen die Einreise verweigert worden war, wird nun abgeschoben.

Während der Schrecken der israelischen Bombardierung des Gazastreifens verbrachte Abu Sitta 43 Tage im Gazastreifen und arbeitete mit »Ärzte ohne Grenzen« im Al-Schifa-Krankenhaus. Er wollte seine Erfahrungen auf dem Kongress teilen. In einem Video, das auf X veröffentlicht wurde, hat der Mitbegründer von DiEM 25 und Vorsitzende der Partei MERA 25 in Griechenland, Yanis Varoufakis, seine Reaktion auf diese Entscheidung und die Rede, die er auf dem Palästina-Kongress halten wollte, festgehalten: »Ich bin weder Jude noch Palästinenser. Aber ich bin unglaublich stolz darauf, hier unter Juden und Palästinensern zu sein – meine Stimme für Frieden und universelle Menschenrechte mit jüdischen Stimmen für Frieden und universelle Menschenrechte zu vereinen – mit palästinensischen Stimmen für Frieden und universelle Menschenrechte. Dass wir heute hier zusammen sind, ist ein Beweis dafür, dass Koexistenz nicht nur möglich ist, sondern dass sie bereits stattfindet! Schon jetzt.«

Karin De Rigo, Spitzenkandidatin von MERA 25 Deutschland für die Europawahl, die eine Podiumsdiskussion mit Yanis Varoufakis moderieren und die Abschlussrede halten sollte, hatte ebenfalls kürzlich mitgeteilt: »Wir sind solidarisch mit all jenen, die Gerechtigkeit suchen, und sind den Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte verpflichtet. Dieser Kongress ist ein bedeutender Moment für diejenigen von uns, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen. Er bietet eine Plattform für Solidarität gegen Unterdrückung und einen Weg, die deutsche Regierung in Fragen der Rechenschaftspflicht einzubinden. Gemeinsam mit anderen Organisationen auf dem Palästina-Kongress wollen wir einen Beitrag zum globalen Dialog über Gerechtigkeit für Palästina leisten. Wir setzen uns dafür ein, die Beteiligung Deutschlands an den Greueltaten gegen die Palästinenser in Gaza aufzuzeigen und zu konfrontieren«, so Karin de Rigo.

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