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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 2 / Ausland
Revisionismus

Persilschein für »Remigration«

Lettland schiebt russischsprachige Bürger ab, Bundesregierung hat nichts einzuwenden. Ehrung für SS-Legionäre des Landes am Wochenende
Von Arnold Schölzel
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Kundgebung in Gedenken an lettische SS-Legionäre im Zentrum von Riga am Sonnabend

Am vergangenen Mittwoch fragte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (BSW) offiziell die Bundesregierung, ob diese »die vom NATO-Mitglied Lettland angekündigte Zwangsausweisung von Russen thematisieren« werde. Dagdelen bezog sich auf einen entsprechenden Bericht des Spiegels. Auch andere Medien hatten berichtet. Am selben Tag antwortete der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, (Bündnis 90/Die Grünen) und stellte der Remigrationspolitik des Verbündeten einen Persilschein aus: Die Bundesregierung befinde sich in ständigem Austausch mit der lettischen Regierung, Lettland sei »ein demokratischer Rechtsstaat«. Wörtlich: »Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die Zweifel an der Einhaltung demokratischer Grundwerte und rechtsstaatlicher Grundsätze in Lettland rechtfertigen würden.« Dagdelen kommentierte das am Freitag gegenüber jW mit den Worten: »Hier zeigt sich erneut, dass die Verpflichtungen aus der NATO-Charta auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit bloße Makulatur sind. Dass die Bundesregierung diese kollektiven Zwangsausweisungen rechtfertigt, macht ihren Widerstand gegen die Deportationspläne von Rechtsextremen in Deutschland schlicht unglaubwürdig und ist weiteres Zeugnis kriegsbesoffener Doppelmoral.«

Die lettische Regierung bekräftigte dies auf ihre Weise und ließ wie jedes Jahr am 16. März den Gedenkmarsch zu Ehren lettischer SS-Legionäre und anderer faschistischer Kollaborateure durch die Hauptstadt Riga zum Freiheitsdenkmal ziehen. Die Teilnehmer des Zuges, an dem laut Nachrichtenagentur LETA mehrere hundert Menschen teilnahmen, trugen Flaggen Lettlands, Estlands und der Ukraine. Entlang der Strecke sang man Lieder der lettischen SS-Legionäre.

Organisiert wurde der Aufmarsch erneut von »Daugavas Vanagi« (deutsch »Düna-Falken«). Die im Dezember 1945 gegründete SS-Veteranenvereinigung existiert auch in der BRD als eingetragener Verein mit stattlichem Grundbesitz in Freiburg-Zähringen (»Lettisches Kulturzentrum«). Während des Zweiten Weltkriegs waren rund 160.000 Letten in deutscher Polizei, Wehrmacht und SS, die schwerste Verbrechen an Juden, Russen und Polen begingen. Die Faschisten des baltischen Staates wurden von den Westalliierten 1945 aber als »zwangsrekrutiert« eingestuft, ein Teil kämpfte mit Unterstützung westlicher Geheimdienste noch in den 50er Jahren in den baltischen Sowjetrepubliken. Die Mehrheit wurde in Großbritannien, Nordamerika, Australien und der BRD ähnlich wie die ukrainische Bandera-Organisation OUN bis zum Ende der Sowjetunion als politische Gruppierung am Leben erhalten. Aus ihr rekrutierten sich zahlreiche Politiker Lettlands nach 1991. Zeitweilig war der 16. März, an dem 1944 beide lettische SS-Divisionen am selben Frontabschnitt gegen die Rote Armee kämpften, in den 90er Jahren sogar gesetzlicher Feiertag.

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  • Leserbrief von A. Katz aus Berlin (18. März 2024 um 13:54 Uhr)
    Die meisten Artikel von Arnold Schölzel finden nicht meinen Beifall, aber hier hat er es genau auf den Punkt gebracht!

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