4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 08.03.2024, Seite 15 / Feminismus
Gaza

Krieg gegen Frauen

Gaza: Mütter ohne Essen für ihre Kinder, Geburten ohne Betäubung und Tausende getötet
Von Karin Leukefeld
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Wut und Verzweiflung auf der Suche nach Nahrung (Rafah, 13.2.2024)

Der Krieg gegen Gaza ist auch ein Krieg gegen Frauen. Zu diesem Ergebnis kommt die UN-Frauenorganisation UN Women in ihrem jüngsten Bericht über die Lage der Frauen in dem palästinensischen Küstenstreifen. Seit Anfang Oktober 2023 seien »schätzungsweise« 9.000 Frauen von den israelischen Streitkräften getötet worden. Die Zahl sei vermutlich »untertrieben«, da eine unbekannte Anzahl toter Frauen unter den Trümmern läge. Mit jedem Kriegstag würde die Zahl der getöteten Frauen um durchschnittlich 63 steigen. Täglich würden rund 37 Mütter getötet, insgesamt sind 70 Prozent der Getöteten Frauen und Kinder.

Vier von fünf Frauen berichteten UN Women, dass ihre Familien nur halb soviel oder noch weniger Nahrung bekommen könnten als vor dem Krieg, und dass sie unter den Trümmern und im Müll nach Nahrungsmitteln suchten. In 95 Prozent der Fälle verzichteten die Mütter auf ihr Essen, damit die Kinder wenigstens eine Mahlzeit am Tag hätten. Zehn von zwölf in Gaza befragte Frauenorganisationen gaben an, nur noch teilweise Nothilfedienste leisten zu können. Diejenigen, die ausgebildet sind, Frauen in vielen Lebenslagen zur Seite zu stehen, brauchen in Gaza heute selber Hilfe.

»Feministinnen, wo zum Teufel wart ihr?« fragte Hala Hanina, eine junge Frau aus Gaza in einem Video, das sie auf Instagram verbreitete. »Kennt Ihr einen Namen der Frauen, die seit Oktober in Gaza getötet wurden?«, so Hanina weiter und zeigte Fotos von jungen Frauen, die stolz die Robe und den Doktorhut nach dem Abschluss ihres Universitätsstudiums tragen. Junge Frauen bei einem Ausflug, im Café, am Meer. Alle lächeln, alle sind jung, alle tragen – wie Hanina – ein Kopftuch. Dann folgten Fotos von Mädchen, deren Beine, Hände amputiert wurden. Neben einem der Mädchen steht ein Foto, das sie als stolze Bogenschützin in einem Wettbewerb zeigt. »Sie müssen unglaubliches Leid durchmachen, wenn ihnen ihre Arme oder Beine ohne Betäubungsmittel amputiert werden«, kommentierte Hala. Eine Million Frauen und Mädchen erführen unerträgliches Leid und Gewalt, Schwangere müssten ihre Kinder mit einem Kaiserschnitt ohne Betäubung gebären, Frauen seien Witwen geworden, Frauen hätten zusehen müssen, wie ihre Kinder getötet wurden.

Internationale Medien und Personen wie Hillary Clinton, die als Feministin auftreten würde, hätten aufgeschrien, als über unbewiesene Vorwürfe über sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen an israelischen Frauen am 7. Oktober berichtet wurde. Doch niemand habe aufgeschrien, als die UN-Frauenorganisation ihren Bericht über die Folter an den palästinensischen Frauen veröffentlicht habe. Die Organisation Euro-Med Human Rights Monitor legte parallel zu UN Women (anonyme) Augenzeugenberichte von Palästinenserinnen vor, die in israelischer Militärhaft sexualisierter Gewalt, Folter, unmenschlicher Behandlung, Leibesvisitationen und Androhung von Vergewaltigung ausgesetzt waren. Die Drohungen und Schläge kamen von männlichen und weiblichen Soldaten, die sie während der Folter mit ihren Handys fotografierten, berichteten die Frauen.

Im Auftrag des UN-Generalsekretärs legte die Sonderermittlerin Pramila Patten vor wenigen Tagen ihren Bericht über sexualisierte Gewalttaten am 7. Oktober vor. Demnach gebe es »vernünftige Gründe für die Annahme«, dass es während des Angriffs der palästinensischen Kämpfer »sexualisierte Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Gruppenvergewaltigung« gegeben habe. Auch weibliche Geiseln, die an dem Tag nach Gaza entführt wurden, seien sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen. Patten räumte ein, weder sie noch ihr Team hätten eines der Opfer treffen können, obwohl sie sich bemüht hätten. Ihr Bericht basiere auf 33 Treffen mit (nicht näher bezeichneten) israelischen Institutionen, auf 34 Interviews, darunter auch mit Überlebenden und Augenzeugen, freigelassenen Geiseln und medizinischem Personal. Mindestens zwei Fälle, über die breit in Medien berichtet wurde, hätten sich – durch neue Informationen oder durch widersprüchliche Tatsachen – als unbegründet erwiesen. Die Hamas hat die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen.

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  • Leserbrief von Franz Siklosi aus 64683 Einhausen (8. März 2024 um 20:25 Uhr)
    Ich stelle die These auf, dass nicht jeder Widerstand gegen den Imperialismus selbst fortschrittlich ist. Früher waren sozialistische und kommunistische Erkenntnisse zumindest rudimentär im antiimperialistischem Kampf Bestandteile. Seit der islamischen Revolution im Iran und dem Rollback in Afghanistan, aber auch der misslungene Versuch eines islamischen Sozialismus in Algerien, muss man sich eingestehen, dass zwei Arten von Antiimperialismus existieren: fortschrittlicher und reaktionärer. Die Hamas, Hisbollah und Konsorten gehören zu der zweiten Gruppe. Diese führen einen Kampf gegen jede Art von sozialem Fortschritt. Speziell für die Frauen in Gaza hat die Hamas bestimmt nicht die Emanzipation gefördert. Es ist also einseitig, die Schuld an der gegenwärtigen Lage nur den Israelis anzulasten. Welche Bedeutung spielt für die Hamas ihre Bevölkerung. Sind diese nur Märtyrer für das Jenseits?

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