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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 11 / Feuilleton
Berlinale

Die große Illusion

Der Sturm im Wasserglas geht weiter. Nach den Reaktionen auf israelkritische Äußerungen während der Abschlussgala der Berlinale sah sich selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu einer Reaktion genötigt: Er teile es, »dass eine derart einseitige Positionierung so nicht stehen gelassen werden kann«, ließ er eine Sprecherin am Montag ausrichten. Zuvor hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt. »Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und dem Berliner Senat, die mit uns die Verantwortung für die Berlinale tragen, werden wir nun die Vorkommnisse bei der Bärenverleihung aufarbeiten«, sagte die Grünen-Politikerin am Montag. Es solle untersucht werden, wie die Berlinale ihrem Anspruch, ein Ort für Vielfalt, unterschiedliche Perspektiven und Dialog zu sein, gerecht geworden sei oder nicht. Dabei will Roth auch klären, »wie zukünftig sichergestellt werden kann, dass die Berlinale ein Ort ist, der frei ist von Hass, Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jeder Form von Menschenfeindlichkeit«.

Am Sonntag soll es auf der Instagram-Seite der »Panorama«-Sektion zu einem als israelfeindlich bezeichneten Beitrag gekommen sein, der schnell wieder gelöscht wurde. Ein Redakteur der Welt veröffentlichte einen Screenshot des Posts auf X. Dieser zeigte ein Foto mit dem Spruch »Free Palestine – From the River to the Sea«. Das Filmfestival distanzierte sich hiervon und gab an, Opfer eines Hackerangriffs geworden zu sein. »Dass jemand einen Berlinale-Social-Media-Kanal für antisemitische Hetze missbraucht, ist unerträglich«, hieß es auf Nachfrage der dpa.

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte angesichts der Antisemitismusvorwürfe gegen das Filmfestival Berlinale, die Bundesregierung und die Berliner Senatskanzlei kritisiert. »Hetze gegen Israel und Juden auf deutschen Kulturveranstaltungen ist eine erschreckende Regelmäßigkeit geworden«, sagte Schuster der Bild vom Montag. Der israelische Botschafter Ron Prosor schrieb am Sonntag auf X von tosendem Applaus der »deutschen Kulturszene« für »antisemitische und israelfeindliche Äußerungen«.

Was immer man im Einzelnen von diesen Vorwürfen und Vorfällen halten mag, erscheint es insgesamt doch recht merkwürdig, wie unbeirrt die hiesigen politischen und kulturellen Institutionen der Überzeugung verpflichtet zu sein scheinen, das Meinungsbild im internationalen Kulturbetrieb hätte sich ausschließlich nach Bekenntnissen zu »deutscher Staatsraison« auszurichten. Würde eine derartige Illusion zum geltenden Maßstab, hätte das u. a. wohl zur Folge, dass hiesige kulturelle Institutionen, ein internationales Filmfestival beispielsweise, ihren Betrieb mittelfristig einstellen müssten, zumindest insoweit sie noch auf internationale Beiträge angewiesen blieben. (aha)

  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (27. Februar 2024 um 08:03 Uhr)
    Der Spruch »Free Palestine – From the River to the Sea« ist nicht antisemitisch, sondern gegen die Politik der israelischen extrem rechts gerichteten Regierung gerichtet, die ihrerseits ein »Israel from the River to the Sea« für sich reklamiert. Falls man »Free Palestine – From the River to the Sea« dennoch als antisemitisch einordnen will, dann ist das Gegenstück »Israel from the River to the Sea« ebenfalls antisemitisch, da auch die Palästinenser Semiten sind. Was soll der ganze Propagandaunsinn also? Wir kennen ja in Deutschland gerade in jüngster Zeit Massendemonstrationen gegen die extreme Rechte. Dazu gehören dann auch die beanstandeten Äußerungen auf der Biennale. Ach, bei der extremen Rechten in Israel, dort sogar an der Regierung ist, gilt es dann nicht mehr? Die wird mit Geld und Waffen unterstützt wie die extreme Rechte (»Asow«) in der Ukraine. Wer das ausspricht, erhält einen Maulkorb. Untersuchungen folgen.

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