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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
HipHop

Lass den Synthie rollen

Gewissermaßen Punk: Experimenteller HipHop von H31R
Von Christian Meyer
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Wo sie sind, ist vorne: maassai (l.) und JWords

Drei Jahre waren seit dem Debütalbum »ve·loc·i·ty« vergangen, als sich Ende 2023 das US-amerikanische HipHop-Duo H31R – sprich: heir (Erbe) oder air (Luft) – mit »HeadSpace« zurückmeldete. H31R, das sind die aus Brooklyn stammende Rapperin maassai und die Produzentin JWords aus New Jersey, die Tontechnik studiert hat, was am Piano kann und auch einmal gerappt hat. Ihr Sound lässt sich am besten als elektrolastiger experimenteller HipHop bezeichnen.

Der erste Track »Glitch in Time« setzt den Ton: Düstere Bässe, groovige Drums und schräge Melodien ziehen sich durchs ganze Album. Geht gut los, ziemlich hektisch. Von da an wird alles noch besser, die Vorabsingle »Backwards« animiert zum engagierten Kopfnicken. Klassischer Boom-Bap ist Teil des H31R-Fundaments, selbst das Coverfoto hat den 90er Flavor: maassai und JWords in einer Hausecke zweier Ziegelsteinbauten, natürlich schwarz/weiß. Sozialbau/Projects? Von unten aufgenommen und etwas überbelichtet, hat das Bild etwas Beiläufiges. Kein Text auf dem Cover, nur der Parental-­Advisory-Sticker. Understatement, kein Gepose, die Musik soll für sich stehen. Unnötig zu betonen, wie weit H31R damit von der Ästhetik aktueller, hypersexualisierter weiblicher Rapsuperstars entfernt sind.

»At Ease«, ein 45sekündiges Interlude aus spartanischen Beats und Spoken Word, hätte so auch 1997 erscheinen können. Spätestens bei den darauffolgenden Tracks »Train of Thought« und »Shadow Self« zieht das Tempo wieder deutlich an. Teilweise ist das Album ziemlich upbeat, mancher mag das Technorap nennen. Es wäre nicht verkehrt.

JWords sagte schon 2020 dem britischen Musikmagazin The Wire, sie wolle stets eine Brücke zwischen Dance und HipHop bauen. Daran sind schon viele gescheitert – »­HeadSpace« ist ein äußerst vielversprechender Versuch. Die Beats von JWords sind trotz der 90er Referenzen mehr synthesizer- als samplelastig, die Drums oft untypisch programmiert und doch rollt der Sound, klingt das Album kohärent. Und hält einige Überraschungen parat: »Right Here« ist eine Art Weirdo-R-’n’-B. Anfang der 2000er wäre die Platte in der »Abstract HipHop«-Kiste gelandet.

H31R sind Teil eines neuen experimentierfreudigen und diversen Rapundergrounds in den USA, der in den letzten Jahren entstanden ist. Mit Nappy Nina featured man sich gegenseitig, Quelle Chris aus ­Detroit hat bei »Down Down BB« einen Gastauftritt. Erschienen ist das Album auf dem Sublabel von Ninja Tune, Big Dada. Das traditionsreiche britische Undergroundlabel wurde 2021 mit (identitäts-)politischem Anspruch neu gegründet und wird seither von »People of Colour« (PoCs) für PoCs betrieben. Man will Stereotype unterlaufen und marginalisierte Künstler ermutigen, kreativ frei zu drehen. Das kulturelle Wissen und die Ressourcen des Labels sollen einer neuen Generation zugute kommen.

Klingt gut, hört sich auch gut an. Mit 14 Songs in unter 26 Minuten ist »HeadSpace« gewissermaßen ein Punkalbum, im Wortsinne kurzweilig. Repeat!

H31R: »HeadSpace« (Big Dada)

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